Todesschrei
schon zu verwest war, um es noch identifizieren zu können. Vito fragte sich, wie lange sie schon hier lag. Und zu wem sie gehörte. Ob jemand sie vermisst hatte. Ob jemand noch immer auf sie wartete.
Er spürte das schon vertraute Aufwallen von Mitleid und Trauer und schob es an den Rand seines Bewusstseins zu all den anderen Gefühle und Erinnerungen, die er vergessen wollte. Jetzt musste er sich allein um die Leiche kümmern, Beweise und Fakten sammeln. Später würden Nick und er sich auf die Frau konzentrieren - die Frau, die einmal gelebt hatte und jemand gewesen war. Und sie würden es tun, um das kranke Schwein zu fassen, das ihren nackten Körper irgendwo auf einem offenen Feld verscharrt, das ihr sogar noch nach ihrem Tod Gewalt angetan hatte. Das Mitleid mündete in heillosen Zorn, als sein Blick wieder zu ihren Händen glitt.
»Er hat sie in Positur gelegt«, murmelte Nick neben ihm, und in seinen leisen Worten schwang derselbe Zorn mit, den auch er empfand. »Dieser Dreckskerl hat sie extra hübsch hergerichtet.«
O ja, das hatte er. Ihre Hände lagen aneinandergelegt zwischen ihren Brüsten, die Fingerspitzen zeigten zum Kinn. »Für ewig im Gebet gefaltet«, sagte Vito grimmig. »Ein religiöser Mord?«, überlegte Nick. »Hoffentlich nicht.« Eine dumpfe Vorahnung jagte ihm einen Schauder über den Rücken. »Religiös motivierte Mörder neigen dazu, es nicht bei einem Opfer zu belassen.« Nick ging die Hocke, um in das Grab zu sehen, das ungefähr einen Meter tief war. »Wie hat er es geschafft, dass die Hände so geblieben sind, Jen?«
CSU-Sergeant Jen McFain schaute auf. Sie trug eine Schutzbrille und eine Maske über der unteren Gesichtshälfte. »Mit Draht. Könnte Stahl sein, ist aber sehr fein. Er wurde um ihre Finger gewickelt. Ihr könnt es besser sehen, wenn die Gerichtsmedizin sie sauber gemacht hat.« Vito runzelte die Stirn. »Es kommt mir komisch vor, dass ein Metalldetektor bei einem so dünnen Draht durch eine dicke Schicht Erde anschlägt.«
»Du hast recht. Das haben wir auch eher den Stangen zu verdanken, die euer Spinner dem Opfer unter die Arme geschoben hat.« Jen strich mit einem behandschuhten Finger an der Unterseite ihres eigenen Arms bis zum Handgelenk entlang. »Sie sind dünn und biegsam, haben aber genug Masse, um vom Detektor angezeigt zu werden. Mit den Stangen hat er die Arme in Position gebracht.« Vito schüttelte den Kopf. »Nur warum?« Jen zuckte die Achseln. »Vielleicht kann die Leiche uns mehr sagen. Hier in dem Loch ist nicht viel zu finden. Allerdings macht mich etwas stutzig ...« Geschickt zog sie sich aus dem Grab. »Der alte Mann, der sie gefunden hat, hat mit einem normalen Gartenspaten gegraben. Er ist zwar ganz gut in Form, aber nicht einmal ich hätte bei diesen Temperaturen so tief graben können.« Nick blickte in das Loch. »Das heißt, der Boden kann nicht gefroren gewesen sein.«
Jen nickte. »Genau. Als er den Arm ausgebuddelt hatte, hörte er sofort auf und rief die Polizei. Als wir eintrafen, haben wir vorsichtig Erde beiseitegeschafft, und es war ganz einfach, bis wir auf die Grabwand stießen - die war hart wie Stein. Seht euch mal die Ecken an. Sieht aus, wie mit einer Schiene gezogen. Und sie sind steinhart gefroren.«
Vito spürte ein Ziehen in der Magengrube. »Er hat das Grab ausgehoben, bevor es gefroren hat. Das heißt, er hat das alles im Voraus geplant.«
Nick zog die Brauen zusammen. »Und niemand hat das riesige Loch bemerkt?«
»Vielleicht hat er es mit irgendetwas bedeckt«, meinte Jen.
»Und ich glaube auch nicht, dass die Erde, die er zum Aufschütten benutzt hat, von diesem Feld stammt. Ich lasse ein paar Tests machen. Aber im Moment ist das leider alles, Jungs. Und ich kann auch nichts mehr tun, bevor die Gerichtsmedizin hier eintrifft.«
»Danke, Jen«, sagte Vito. Er wandte sich an Nick. »Reden wir mal mit dem Besitzer von diesem Stück Land.« Harlan Winchester war um die siebzig, aber sein Blick war klar und scharf. Er hatte auf dem Rücksitz des Streifenwagens gewartet und stieg aus, als er sie kommen sah. »Ich nehme an, Sie wollen von mir noch einmal dasselbe hören wie der Officer. «
Vito nickte und bemühte sich um ein freundliches Auftreten. »Ich fürchte ja. Ich bin Detective Ciccotelli, und das ist mein Partner, Detective Lawrence. Können Sie uns bitte sagen, was genau geschehen ist?«
»Tja, dabei wollte ich diesen blöden Metalldetektor nicht einmal haben. Er war ein Geschenk von meiner Frau.
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