Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
eine Weile, bevor sie herausplatzte: »Mich quält es auch, dass Ryan mich an der Nase herumgeführt hat. Ich muss jeden Tag daran denken, ich fühle mich so verraten. Ich habe ihm wirklich vertraut, ich habe zu ihm aufgesehen, wollte wie er sein, und ich muss gestehen, dass ich noch immer nicht begreife, was passiert ist.«
»Das tut keiner von uns. Ryan Sullivan ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie verschroben das Gehirn eines Mörders sein kann.«
»Hast du danach eigentlich mal mit Ted Palmer gesprochen?«, fragte sie, und Brodersen begegnete ihrem Blick. Ihr fiel auf, dass er in der letzten Zeit stark gealtert war.
»Das habe ich, mehrmals sogar. Er war auch hier, um eine Aussage zu machen. Ted Palmer ist natürlich schockiert, ebenso wie sein Chef. Aber ich denke, Ted Palmer ist auch erleichtert. Er reist jetzt zurück in die Staaten, um die Stelle als Head of the Unit anzutreten.«
Rebekka nickte. Sie verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und spürte den Blick ihres Chefs auf sich ruhen. Die Stimmung veränderte sich, wurde vertraulich. Brodersen räusperte sich.
»Marianne geht es inzwischen richtig schlecht. Sie sitzt im Rollstuhl. Es wird schnell gehen. Nicht auszudenken, wenn wir es nicht mehr schaffen.«
Seine Stimme war heiser geworden, als wäre er erkältet. Rebekka spürte einen Kloß im Hals und wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Nun gut, machen wir weiter.« Der Chef der Mordkommission riss sich zusammen und brachte ein schwaches Lächeln zustande, während er auf sie zukam. Plötzlich blieb er stehen, ernst.
»Gundersen wird das Ruder übernehmen, aber das weißt du vermutlich schon?« Er sah sie an, sie begegnete seinen grauen Augen.
»Du bist tüchtig, Rebekka, und du wirst immer besser. Du musst nur noch ein wenig Geduld haben, bis du so weit bist. Verstehst du?«
Rebekka streckte sich, hielt seinen Blick fest. Sie nickte langsam. Sie verstand, obwohl es weh tat.
—
»Steffen und ich lassen uns scheiden.«
Anita Kyhn zog kräftig an ihrer Zigarette und blickte verstohlen zu Rebekka hinüber. Ausnahmsweise war Rebekka in die Langgade nach Valby hinuntergefahren, um einzukaufen. Sie schob gerade den vollen Einkaufswagen über den Parkplatz zu ihrem Auto, als sie plötzlich Sofies Mutter von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Die zarte Frau war noch weiter geschrumpft, seit Rebekka sie das letzte Mal gesehen hatte, und verschwand fast in ihrem dicken Mantel. Rebekka hätte gerne etwas gesagt, doch ihr fiel nichts Passendes ein, weshalb sie stattdessen die Hand ausstreckte und nach Anitas griff und sie leicht drückte.
»Das tut mir leid«, murmelte sie.
Anita Kyhn warf die Zigarette fort, die den Bordstein hinunterrollte, bis sie in einem Kanalgitter verschwand.
»Das braucht es nicht. Es ist gut so. Unsere Ehe hatte schon einen Knacks. Als Sofie dann gestorben ist, ist sie zerbrochen …« Anita seufzte, fischte eine neue Zigarette aus der Packung, zündete sie an und inhalierte tief. Die Augen der Frau huschten über den grauen Parkplatz, und ihr Blick kam erst auf den nackten, schwarzen Bäumen zur Ruhe, die den Platz säumten.
»Aber ich bin erleichtert, dass er nichts damit zu tun hatte. Steffen, meine ich. Das hätte ich nicht ertragen.«
»Was wollen Sie jetzt machen?«, fragte Rebekka und ärgerte sich über die Schwäche, die sie aus ihrer Stimme heraushörte. Sie sollte der Frau Stärke vermitteln, den Glauben, dass sie eine Zukunft hatte.
Anita Kyhn zuckte mit den Schultern. »Steffen ist zu seiner neuen Flamme gezogen. Zu Vibs.« Anitas Stimme zitterte, als sie den Namen der Frau aussprach. »Mir ist allergnädigst erlaubt worden, in der Wohnung wohnen zu bleiben. Mit Patrick wechseln wir uns ab. Für ihn ist es schwer, vor allem, dass er seine Schwester verloren hat, aber auch, dass er mal bei mir und mal bei Steffen ist. Er macht sich dauernd in die Hose.«
»Was ist mit Mark?«
»Er ist zu seiner Freundin gezogen.« Erneutes Seufzen.
»Bekommen Sie Hilfe? Wenden Sie sich doch …«
»Ich weiß. Es gibt Hilfe, es gibt Hoffnung, es gibt alles. An irgendeinem unerreichbaren Ort am Horizont.«
»Ja«, stimmte Rebekka ihr zu, »genau so fühlt es sich an. Unerreichbar. Aber Sie müssen daran glauben, dass es noch etwas Gutes im Leben gibt.«
Anita antwortete nicht, doch ein kleines Lächeln umspielte ihre blutarmen Lippen. Sie warf die Zigarette fort, obwohl sie noch nicht ganz aufgeraucht war, und verschwand Richtung
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