Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
während Maria zusammen mit einem der anderen Mädchen herumläuft.
Ihr Blick fällt auf ein Gelände am Weg, das dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsen ist. Sie geht auf einem Holzplankenpfad hinein und ist plötzlich von Erdhügeln, dichtem Gebüsch und hohen Bäumen umgeben. Es ist wie ein kleiner Wald. In der Nähe des Zauns, der das Gelände zum Weg hin begrenzt, befindet sich eine halb fertige Höhle. Sie lächelt vor sich hin und sieht sich um. Hier sind keine Menschen, keine lärmenden Kinder. Hier hat sie ihre Ruhe. Sie bricht einen Zweig ab, läuft durchs Gras und sticht damit in die Erde. Sie beschließt, die Höhle fertig zu bauen, sie richtig schön zu machen. Sie sammelt Zweige mit großen, saftig grünen Blättern. Sie ist allein, sie hat das alles für sich, und plötzlich erfüllt sie ein Glücksgefühl, das im Bauch kribbelt wie Mineralwasser.
Entschlossen baut sie weiter an der Höhle, sie nimmt langsam Form an, das Dach strotzt vor Grün und sieht aus wie eins der Dächer in den Geschichtsbüchern in der Schule. Der Schweiß läuft ihr herunter, sie keucht atemlos, wischt ihn mit einem Zipfel des Unterhemds ab. Wenn sie doch am Strand wäre und baden könnte. Aber das wollen ihre Mutter und Steffen nicht. Das ist zu weit, sagen sie. Maria badet jetzt bestimmt. Sofie weiß, dass sie irgendwo im Ausland Ferien macht und mit dem Flugzeug geflogen ist. Nach Spanien bestimmt. Sofie schnauft, während sie sich das Ausland vorstellt. Maria war früher schon einmal dort, es gibt einen Swimmingpool, Palmen und große Eisdesserts. Maria hat Glück.
Sie hört ein Scharren und dreht sich um. Ein Auto hat draußen auf dem Weg gehalten, und irgendetwas lässt sie kurz zögern, bevor sie sich wieder ihrer Höhlenbauerei widmet. In eine Seite hat sie ein Guckloch gebaut, und einen Moment wünscht sie, ihr kleiner Bruder wäre hier, um die Höhle zu bewundern, oder besser noch Maria, aber es ist niemand da. Sie überlegt, ihre Mutter zu holen, gibt die Idee jedoch mit einem Schnauben auf. Es prickelt leicht in den Augen, wenn sie an zu Hause denkt, und sie scheucht die Gedanken schnell fort.
Die Höhle ist fast fertig, sie ist schön geworden. Sie ist ein Schloss, ein schönes Schloss, in dem niemand herumschreit. Sie hat einen eigenen Hund, der ihr überallhin folgt, fast spürt sie seine feuchte Schnauze an ihren Beinen. Jetzt kann sie Essen sammeln und spielen, dass sie …
Auf einmal ist ihr kalt, die hohen Bäume erscheinen ihr dunkel und bedrohlich, mit langen, schwarzen Armen, die sich nach ihr ausstrecken. Sie schaudert und will den Pullover überziehen, als sich plötzlich ein dunkler Schatten in ihr Gesichtsfeld schiebt. Schnell blickt sie auf. Er starrt auf sie herunter, und in dem Augenblick, als sie seinem Blick begegnet, weiß sie, dass etwas ganz und gar nicht stimmt.
—
Saved by the bell. Rebekka konnte sich nicht erinnern, jemals dankbarer für das Klingeln des Telefons gewesen zu sein als jetzt, wo sie gegenüber von Michael auf dem Sofa saß und das schlechte Gewissen ihr ins Gesicht geschrieben stand. Es waren gerade mal drei Wochen vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, und trotzdem hatte sie es in dieser kurzen Zeit geschafft, mit einem anderen Mann, nämlich ihrem schwedischen Kollegen Niclas, der zu einem kurzen Besuch in Dänemark gewesen war, im Bett zu landen. Sie war über sich selbst entsetzt – dabei hatte es sich so gut angefühlt, dass es ihr schwerfiel, irgendetwas zu bereuen.
Sie fand das klingelnde Handy auf der Fensterbank und erkannte auf dem Display die Nummer von Henrik Brodersen, dem Chef der Mordkommission. Sie hatte kaum Hallo gesagt, als er auch schon lospolterte: »Rebekka, bist du das? Ein Kind ist verschwunden …«
Ein Kind. Rebekka merkte, wie ihr Puls schneller ging.
»Ein neunjähriges Mädchen. Sofie Kyhn Larsen. Sie ist heute vom Naturspielplatz im Valby Park verschwunden. Das liegt ganz in der Nähe deiner Wohnung.«
»Ich kenne den Park nur vom Hörensagen, muss aber gestehen, dass ich noch nie dort war. Wann ist sie verschwunden?«
»Den genauen Zeitpunkt wissen wir nicht. Die Familie, das heißt die Mutter, der Stiefvater, ihr älterer und ihr jüngerer Bruder sowie ein älteres Ehepaar aus dem Haus, in dem die Familie wohnt, sind gegen dreizehn Uhr in den Valby Park gekommen. Den Erklärungen der Erwachsenen zufolge sind die Kinder alleine herumgelaufen und haben gespielt. Erst als sie gegen vierzehn Uhr dreißig picknicken
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