Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
Supermarkteingang. Die Zigarette glühte noch lange in der einsetzenden Dämmerung.
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»Søren, du musst den Mund weiter aufmachen.«
Die Mutter drückte den Löffel mit Erbsensuppe gegen seine Lippen, die sich öffneten. Der Löffel stieß gegen die Vorderzähne und ließ es in seinem Kopf laut klirren. Er sah sie vorwurfsvoll an. Erbsensuppe war das Zweitschlimmste, das er kannte, glühend heiße Erbsensuppe war das Schlimmste. Sie begriff es nicht, schob nur den Löffel weiter in seinen Mund hinein und ließ die kochend heiße Suppe in seinen Schlund träufeln. Er stöhnte leise vor Schmerzen. Suppen waren immer zu heiß, brennend heiß, und sein Mund war voller Brandblasen, die kribbelten, brannten und ihm die Tränen in die Augen trieben. Er hätte der Mutter so gerne gesagt, dass sie pusten sollte, warten, bis das Essen genügend abgekühlt war, doch die Worte wollten nicht so, wie er wollte, und wurden nur zu einem verzerrten Murmeln und einer Menge Sabber, den sie ärgerlich wegwischte.
In ihm dagegen war alles so blank wie eine vereiste Schlitterbahn. Nur außerhalb von ihm war alles eckig, laut und beschwerlich, wie eine riesige Bergspitze, die konstant bezwungen werden wollte. Er beschloss, nur noch in sich zu bleiben. Da fühlte er sich sicher, und mit der Zeit hatte er sich an seine eingeschränkte Welt gewöhnt. Er erinnerte sich an den Kampf der Ärzte, als er im Krankenhaus lag. Sie hatten an seinem Körper gezerrt, mit lauten, eindringlichen Stimmen auf ihn eingeredet, die Gesichter ganz dicht neben seinem. Sie hatten sich im Krankenzimmer gedrängt: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sprachtherapeuten … Die Mutter wurde in regelmäßigen Abständen zu ihm hereingebracht, saß auf dem Stuhl neben seinem Krankenbett und hielt mit ihren krummen Fingern seine Hand.
Die Ärzte redeten von einem Gehirnschaden, es war ernst, sie gebrauchten gewichtige Worte, schlugen ein Pflegeheim als gute Alternative für seine Zukunft vor. Nach anderthalb Monaten im Krankenhaus wurde er dann doch mit einem Anspruch auf eine mobile Pflegerin nach Hause entlassen. Die Mutter hatte hartnäckig darauf bestanden, dass sie ihn zu Hausse pflegen konnte, besser als irgendein Pflegeheim. Sie hatte auf den Tisch gehauen und die Ärzte davon überzeugt, dass sie nicht nachgeben würde. Søren sollte mit nach Hause.
Er lag den ganzen Tag in seinem Bett. Er hatte das Krankenhausbett der Mutter übernommen, sie hatte seins bekommen. Jetzt lag er in ihrem Schlafzimmer, das noch immer leicht nach Zigarettenrauch und Urin roch. Jeden Tag verbrachte er Stunden damit, den alten Fernseher anzustarren, der auf der Kommode gegenüber dem Bett stand, musste sich mit dem Sender begnügen, der eingeschaltet war. Er konnte den Kanal nicht wechseln. Die Versicherung hatte für die Schäden durch die Verwüstung bezahlt, und die Mutter hatte einen brandneuen Flachbildschirm für das Wohnzimmer gekauft. Er sehnte sich danach, dort zu sitzen und seine Filme auf so einem schönen Gerät anzusehen, aber das ging nicht. Sein Körper gehorchte ihm nicht, die Arme waren wie zu weich gekochte Spaghetti, die Beine ebenso, und die Mutter hatte nicht die Kraft, ihm ins Wohnzimmer zu helfen. Die Pflegerin kam zweimal am Tag, wechselte seine Windel, wusch ihn ein wenig und stellte anschließend für sie beide das Essen in die Küche, bevor sie wieder verschwand.
Søren seufzte laut. Die Mutter gab es auf, ihn mit Suppe zu füttern, und verschwand mit schleifenden Schritten wieder aus dem Zimmer. Auf dem Weg kleckerte sie ein wenig, die Suppe trocknete langsam auf dem abgenutzten Holzboden und wurde zu einer schwammigen Masse.
Draußen vor den schmutzigen Fenstern schien grell die Herbstsonne. Ein Sonnenstrahl traf sein Auge wie eine Fernlenkrakete, sodass es tränte. Er blinzelte kräftig. Durch die Kraftanstrengung lief etwas Speichel aus dem Mundwinkel, und er kämpfte mit dem linken Arm, um ihn wegzuwischen. Er seufzte erneut, rutschte ein wenig im Bett herum, soweit ihm das möglich war, und schloss die Augen.
Die Dunkelheit rief die Erinnerungen hervor, er erinnerte sich plötzlich an die ernst aussehenden Menschen mit den Zeitschriften Erwachet und Der Wachtturm , und ihm kam der Gedanke, dass sie es gewusst hatten, als sie einander begegnet waren. Sie hatten gewusst, dass das Fegefeuer genau auf ihn wartete. Deshalb hatten sie an seiner Tür geklingelt und so eindringlich mit ihm gesprochen. Er hatte nur nicht zugehört.
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Der
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