Todesspiel
»Ffffft« war zu hören, dann schrie Evans auf und stürzte, und der Schatten unter der Tür wurde breiter. »Mein Knie! Mein Knie!«, kreischte Evans und hämmerte gegen die Schranktür.
Bei diesen dreifach verglasten Fenstern würde ihn draußen niemand hören, dachte Rubens.
Ffffft …
Rubens drückte sich noch tiefer in den Schrank und sah sich um. Gab es irgendetwas, das er als Waffe benutzen konnte? Nein, nur Aktenordner. Schweiß lief ihm am Körper hinunter. Evans wimmerte.
»Ich tue alles, was er will!«, stöhnte er.
Die Schatten unter der Tür bewegten sich. Rubens’ Herz klopfte, als wollte es zerspringen. Er spürte, wie der zweite Mann sich neben Evans kniete. Das Wimmern wurde unterdrückt. Offenbar hatte der Mann Evans etwas in den Mund gesteckt.
Jetzt macht er gleich den Schrank auf.
Aber der Mann hatte Evans nur aufgerichtet, so dass er jetzt mit dem Rücken an die Schranktür gelehnt dasaß.
Während Evans leise vor sich hin wimmerte, hörte Rubens, wie Schubladen geöffnet und wieder geschlossen wurden. Dann ein Krachen wie von zerberstendem Glas.
Plötzlich wurde im Erdgeschoss eine Tür zugeschlagen. Die Frau musste nach Hause gekommen sein. Rubens wurde ganz schwindlig vor Angst um sie und das Kind. Der Eindringling hörte auf, Dinge zu zerschlagen. Offenbar hatte er das Geräusch von unten ebenfalls gehört. Er hielt still und lauschte. Wenn Rubens jetzt die Schranktür öffnete, würde der Mann ihn sofort entdecken. Er hatte keine Möglichkeit, die Frau zu warnen.
Von unten hörte er die Frau rufen: »John? Du hast schon wieder deinen Koffer im Flur stehen lassen! Wo bist du?«
Keine Antwort. Aber im Arbeitszimmer wurde der Fernseher eingeschaltet, um Evans’ Stöhnen zu übertönen und die Frau wissen zu lassen, dass jemand hier oben war.
Die Stimme der Frau näherte sich über die Treppe.
»Also wirklich, Honor! Beinahe wäre ich über deinen Koffer gestolpert!«
Rubens stand hilflos im Schrank. Er hatte Evans schreckliche Dinge an den Hals gewünscht, hatte davon geträumt, es ihm heimzuzahlen, aber nicht so. Hätte er doch bloß Evans’ Pistole an sich genommen. Es wäre so einfach gewesen. Er stellte sich vor, wie Evans’ Frau mit dem Kind die Treppe hochkam.
Dann ertönte Annie Evans’ Stimme im Arbeitszimmer.
»Honor? Bist du …«
Plötzlich wurde sie hysterisch. »O Gott! Wer sind Sie? Nicht das Kind! Bitte!!!«
Nachdem das Geschrei aufgehört hatte, hörte Rubens schmatzende Geräusche wie von etwas Glitschigem. Er drückte ein Ohr an die Schranktür. Sein Atem ging schnell und flach. Er stellte sich vor, wie der Mann das Zimmer durchsuchte und Bücher aus den Regalen zu Boden warf.
Rubens spürte, dass er niesen musste. Das durfte nicht passieren! Nur mit großer Mühe gelang es ihm, das Niesen zu unterdrücken.
Früher oder später würde der Mann da draußen den Schrank öffnen, wenn er seine Durchsuchung fortsetzte.
Dann hörte Rubens ein Summen. Es war eigentlich keine richtige Melodie, nur unzusammenhängende Töne. Das Summen kam näher.
Der Schatten unter der Tür verschwand. Der Eindringling hatte sich den Zugang zum Wandschrank freigeräumt. Rubens spannte sich an, um sich auf den Mann zu stürzen, doch der schien es sich anders überlegt zu haben.
Nun ertönte ein lautes Krachen vom Schreibtisch her und gleich darauf ein zufriedenes Grunzen.
Rubens rechnete damit, dass der Mann zurückkommen würde. Doch nichts tat sich. Nachdem er ziemlich lange gewartet und eine ganze Weile kein Geräusch mehr gehört hatte, öffnete Rubens langsam und vorsichtig die Schranktür und lugte hinaus.
Inzwischen war es schon fast dunkel geworden, aber eine Lampe brannte und tauchte die Szenerie in sanftes, gelbes Licht.
Rubens übergab sich.
Alles war voll Blut. Der Teppich war blutgetränkt, die Wände und die silbernen Rahmen mit Fotos der Familie Evans am Strand und auf einer Dinnerparty waren mit Blut bespritzt. Blut tropfte von dem demolierten Schreibtisch, und selbst die weiße Zimmerdecke war mit Blutstropfen gesprenkelt.
Honor Evans lag auf der Seite, ein Auge weit offen, das andere herausgerissen, so dass es an der Sehne baumelte. In seinem Mund steckte ein Lappen. Die Halsmuskeln waren in Todesqualen verkrampft. Evans hatte sich vor Angst in die Hose geschissen, und es stank erbärmlich.
Seine Frau lag in einer Ecke des Zimmers, die Beine ausgestreckt. Einige ihrer Halssehnen waren durchtrennt, und ihr Kopf lag in einem merkwürdigen Winkel. Ihre
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