Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.Scott Reiss
Vom Netzwerk:
hindurch. Er sah griechische Restaurants, chinesische, mexikanische und irische Restaurants. An dieser U-Bahn-Station stiegen jeden Abend zwanzigtausend Immigranten aus. Einwanderer aus über hundertdreißig verschiedenen Ländern lebten in Astoria, dem facettenreichsten Stadtviertel der Welt.
    Das Haus, in dem er zusammen mit vier weiteren Illegalieros wohnte, mit denen er sich mittlerweile angefreundet hatte, war ein zweistöckiges, mit Schindeln verkleidetes Gebäude, vier Blocks vom Ditmars Boulevard und drei Blocks von Estrellas Schule entfernt. Als er eintrat, duftete es nach Reis, Bohnen und Wurst, und im Fernsehen lief ein Spiel der Fußballweltmeisterschaft, Brasilien gegen die USA, das über Satellit übertragen wurde. Eine ungleiche Partie, egal, von welcher Seite man es betrachtete. Hier wohnte Rubens’ neue Familie. Er hatte sich mit anderen Brasilianern zusammengetan, damit Estrella sich wie zu Hause fühlte und nicht allein war, wenn er stundenlang nach Honor Evans suchte. Fünf Augenpaare schauten ihn an, als er das Zimmer betrat und auf dem Bildschirm ein Foto des Tatorts in Evans’ Haus erschien, darunter die Textzeile: »Sondermeldung – Brutaler Mord an ehemaligem Drogenfahnder und dessen Familie.«
    Drogenfahnder!, dachte Rubens.
    »Was ist denn mit dir passiert, Papa? Was hast du für ein hässliches Hemd an?«, fragte Estrella. Er schaute seine schöne fünfzehnjährige Tochter an, die in einem Balletttrikot auf dem Boden saß und Dehnübungen machte. Seit einiger Zeit konnte sie das Leben wieder genießen. Als sie auf der Reise nach Amerika vom Mord an ihrer Mutter erfahren hatte, waren sie fürchterlich aneinandergeraten, und erst nachdem Rubens ihr hoch und heilig versprochen hatte, sie nie wieder zu belügen, war sie allmählich wieder aufgetaut.
    Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Versprechen zu brechen, wenn er sie nicht in diese Sache hineinziehen und in Gefahr bringen wollte. »Ach, Raimundo hat eine Dose Terpentin umgestoßen und mir meine Sachen versaut, da hab ich mir bei der Heilsarmee ein paar neue besorgt.«
    Zu seiner eigenen Verblüffung klang seine Stimme vollkommen normal. Er setzte sich aufs Sofa, tätschelte seiner Tochter die Schulter, fragte sie kurz, wie es beim Balletttraining gewesen war, und erkundigte sich bei seinen Freunden nach dem Spielstand.
    Innerlich war er der Verzweiflung nahe.
    Ich muss mich Tommy anvertrauen, dachte er. Ich brauche Hilfe, und zwar schnell.

2
     
    „Weil ich finde, dass wir uns eine Weile nicht sehen  sollten«, sagte Jimmy. »Deswegen.«
    Verblüfft und atemlos stand Detective Christa Salazar in Joggingkleidung im Flur des kleinen Hauses auf Staten Island, in dem sie mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn wohnte. Es war elf Uhr abends. Entgeistert starrte sie ihren Mann und ihren Sohn an, die im Vater-und-Sohn-Partnerlook vor ihr standen: Jimmy und Timmy in Mets-T-Shirt, Cargo-Shorts, Schirmmütze, Reeboks – erwischt bei dem Versuch, sich davonzuschleichen und sie zu verlassen, während sie ihren abendlichen Lauf absolvierte.
    »Ich weiß nicht mehr, wer du bist«, sagte Jimmy.
    »Du bist derjenige, der davonläuft.«
    Der Garderobenspiegel reflektierte die extremen Gefühle der Familie: Christa, klein und sportlich, mit dunklem Pferdeschwanz, den ganzen Körper angespannt, die schwarzen Augen funkelnd vor Wut, die sie vor ihrem sechsjährigen Sohn nicht zeigen wollte; Jimmy mit seinem entschlossen vorgereckten Kinn, das seine sanfte Seite verbarg, unterm Arm den Zeichenblock, auf dem er seine Kinderbücher entwarf; Timmy mit seinem Nemo-Rucksack und dem Baseball mit Autogramm von David Wright, den er in der Hand hielt wie Harry Potters Zauberstab, mit dessen Hilfe er sich unsichtbar machen könnte, um dem Streit zwischen seinen Eltern zu entkommen. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken«, sagte Jimmy und hob seine Reisetasche auf.
    »Okay, aber das kannst du auch allein.«
    Er schaute sie ernst an. »Ich bin derjenige, der sich hauptsächlich um ihn kümmert, Christa. Außerdem fängst du morgen wieder an zu arbeiten, und wer weiß, wann du nach Hause kommst.« Er lächelte Timmy an. »Wir beide machen Urlaub, Kumpel! Wir besuchen Grandpa in Lenox. Wir machen Kajak- und Radtouren, und du kannst jeden Abend mit Mom telefonieren. Versprochen.«
    Tim schaute seine Eltern abwechselnd an. Er hielt den Baseball so fest umklammert, dass seine Knöchel ganz weiß waren. Lautlos bewegte er die Lippen, und wie immer, wenn er nervös

Weitere Kostenlose Bücher