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Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.Scott Reiss
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herum, dass Esteban sie nicht mehr sehen konnte.
    Dann wurde die Tür des Fords aufgerissen, er wurde ins Sonnenlicht gezerrt und auf den Rücksitz eines SUV geschoben. Die Tür wurde zugeschlagen. Als der SUV losfuhr, sah er, wie die beiden Marshals sich mit den Männern in Anzügen prügelten, doch dann bog der Wagen um eine Kurve, und er sah nur noch Bäume. Neben Esteban saß sein neuer Begleiter, ein großer, durchtrainierter, dunkelhäutiger Mann in einem maßgeschneiderten Anzug. Eine Pilotensonnenbrille verbarg seine Augen.
    »Wir bringen Sie an einen sichereren Ort, Mr Paz.«
    Esteban blieb fast das Herz stehen. Er erkannte den Akzent des Mannes. Er hatte schon gefürchtet, dass zu viel Zeit vergangen war und er sich nicht mehr erinnern würde oder dass er im Lauf des Tages zu viele verschiedene Akzente gehört hatte, um den richtigen zu erkennen, wenn er ihm noch einmal zu Ohren kam. Aber diese nasale Aussprache der Vokale war unverwechselbar. So weit entfernt von salvadorianischem Spanisch wie Samba von Mozart.
    »Das ist der Akzent, den ich gehört habe!«, rief er aus.
    Der Mann zuckte zusammen und nahm die Sonnenbrille ab, als könnte er Esteban so besser sehen. Esteban sah Entsetzen in den blassblauen Augen. Was auch immer der Mann zu hören erwartet hatte, das war es jedenfalls nicht gewesen.
    Langsam sagte er: »Der Mörder hat so gesprochen wie ich?«
    Stolz darauf, etwas Nützliches beitragen zu können, traute Esteban sich, nachzuhaken: »Darf ich Sie fragen, was das für ein Akzent ist, Sir?«
    Der Mann antwortete nicht sofort. Er wirkte zugleich verblüfft, schockiert und nachdenklich. »Kann das sein?«, fragte er langsam, als würde er seine Gedanken laut aussprechen. »Ist es möglich, dass er es bis hierher geschafft hat?«
    Der Mann wandte sich ab, und Esteban sah, wie seine Lippen sich stumm bewegten. Er wirkte, als würde er beten, als würde er Gott um Hilfe anflehen. Aber er hatte den Kopf gesenkt und nicht zum Himmel gerichtet.
    »Natürlich dürfen Sie mich fragen, was das für ein Akzent ist«, sagte der Mann schließlich. Es sei ein Akzent aus dem westlichen Brasilien, erklärte er, aus einem kleinen, weit abgelegenen Ort, ganz anders als in den Großstädten.
     
    »Dort bin ich aufgewachsen«, berichtete er Esteban. »Ich bin der Sohn eines Goldsuchers.«
    »Und ich bin der Sohn eines Bauern. Wir haben Mais angebaut.«
    Plötzlich kam dem Mann ein Gedanke. Er nahm eine Brieftasche aus seiner Brusttasche und blätterte mit fasziniertem Blick die laminierten Seiten durch. Es handelte sich um alle möglichen Ausweise – ein Führerschein, ein Ausweis mit einem kleinen Logo, einem Kreuz in einem Spatenblatt, ein Ausweis mit der amerikanischen Flagge darauf. Esteban jubilierte innerlich. Da war er! Ein Ausweis mit einem kleinen, goldenen Bogen über dem Foto, den Sternchen und dem rot-weiß-blauen Rand. Esteban hatte ein ausgeprägtes visuelles Gedächtnis. Es konnte kein Zweifel bestehen.
    Er fragte: »Kennen Sie den Mann, der Senor Evans ermordet hat?«
    Der Mann murmelte nur ein Wort, das Esteban nicht genau verstand. Es klang wie ein Name.
    Auf der Fahrt über abgelegene Straßen und Feldwege unterhielten sie sich angeregt miteinander. Nach einer Weile erreichten sie die Küste, wo wieder ein einzelnes Haus stand. Während draußen der Vollmond aufging, stellte der Mann Esteban immer gezieltere Fragen. Der Mörder sei wahrscheinlich verkleidet gewesen, sagte er. Aber habe er vielleicht mit auf diese Weise verschränkten Armen vor ihm gestanden? Habe er vielleicht auf diese Weise den Kopf schief gelegt? Und war Esteban vielleicht irgendetwas an seinen Händen aufgefallen?
    Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein!
    Die Handflächen nach oben? Die Handgelenke ausgestreckt? Hatte er vielleicht vorne links oben eine Zahnlücke?
    Ja, ich habe ganz vergessen, das den Vernehmern zu erzählen.
    Der Mann tätigte einen Anruf und sagte seinem Gesprächspartner, er habe »gute Neuigkeiten« und sie sollten sich »in brasilianischen Vierteln« umsehen. Dann fügte er hinzu: »Ich werde Ihnen später im Lincoln Center Genaueres berichten.«
    Nachdem der Mann wieder aufgelegt hatte, sagte er, es tue ihm wirklich leid, weil Esteban sehr hilfsbereit gewesen sei, aber er müsse sich vergewissern, dass er die Wahrheit gesagt hatte.
    Da bestätigte sich die Befürchtung, die Esteban schon den ganzen Tag gehegt hatte, nämlich dass es sich bei dem Haus im Wald um alles andere als einen sicheren Ort

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