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Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.Scott Reiss
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handelte.

7
     
    Ich geh nicht zur Schule!»
    „Doch, du gehst. Da lernst du schreiben und rechnen.“
    „Aber wer wird dir helfen, wenn ich fort bin, Papa?“
    „Jeder kann einen Baum anzapfen. Aber nur besondere Leute können lesen.“
    Es war ein entscheidender Morgen gewesen. Ein Tag, der sein Leben auf mehr als eine Weise verändern sollte. Rubens Machado Lemos, acht Jahre alt, folgte seinem Vater durch den Dschungel, aber nicht auf dem Weg, den sie gewöhnlich jeden Morgen um sieben Uhr nahmen. Santos redete ruhig mit seinem Sohn. Er war ein magerer Mann mit einem vom Wurmbefall vorstehenden Bauch. Seine Hose war zerschlissen, und seine Wadenmuskeln verkrampften sich bei jedem Schritt, und dennoch ging er würdevoll neben Rubens her.
    „Du sollst es mal besser haben als ich, Rubens. Ich möchte, dass du mal einen wichtigen Posten bekleidest. Und wenn es so weit ist, möchte ich, dass du Leute wie uns nicht übers Ohr haust. Werde Ladenbesitzer oder Bankangestellter oder Polizist.“
    „Aber du sagst doch immer, dass Polizisten Diebe sind.“
    „Dann stell dir bloß mal vor, wie viel Gutes ein ehrlicher Polizist tun könnte.“
    Die Paranussbäume waren so riesig, dass sechs Männer einander an den Armen fassen müssten, um den Stamm zu umringen, und die Kronen waren so dicht, dass der Dschungelboden in ewigem Schatten lag. Die Tiere hier unten und die, die hoch oben in der Sonne lebten, begegneten sich nie.
    „Das Leben eines Seringueiro ist erbärmlich, Rubens, und selbst das wird es bald nicht mehr geben. Straßen werden gebaut, Viehzüchter kommen. Bulldozer werden unseren Urwald vernichten.“
    Eine Stunde zuvor hatte es aufgehört zu regnen, aber immer noch fielen einzelne Tropfen aus den Kronen auf fächerartige Blätter. Dampf stieg aus dem feuchten Boden auf. Rubens achtete darauf, wohin er trat, denn Kautschukzapfer, die das nicht taten, erlitten häufig Unfälle. In einer Astgabel zappelte ein schillernd bunter Kolibri in den Fängen einer Tarantel, die nun ihre Klauen in seinen roten Hals grub.
    Santos sagte: „Seit ich denken kann, werden wir von den Männern auf den Schiffen betrogen. Du wirst rechnen lernen und dafür sorgen, dass sie uns ordentlich bezahlen.“
    Die Blechtassen am Gürtel seines Vaters klapperten, die Machete schlug ihm beim Gehen gegen den Schenkel, und die typischen, schweren schwarzen selbst gemachten Schuhe der Kautschukzapfer verursachten auf dem nassen Boden ein schmatzendes Geräusch.
    Ich will nicht in die Schule!
    „Guck mal, Papa, Klammeraffen!“
    Aber Santos nahm seine alte einläufige Schrotflinte nicht einmal von der Schulter. Bloß wegen der blöden Schule ließ er sich keine Zeit, für das Abendessen einen Affen zu schießen! Stattdessen marschierte er so entschlossen wie das Schicksal persönlich in Richtung Fluss, wo die amerikanischen Missionare vom Detroit Language Institute eine Schule eingerichtet hatten.
    „Heute Abend hole ich dich wieder ab“, sagte Santos.
    „Diese Gringos haben keine Ahnung von Kautschuk.“
    „Dieses Wort will ich nie wieder aus deinem Mund hören, und auch nicht, dass du dich über jemanden lustig machst, den du gar nicht kennst. Denn genauso gehen die Leute mit den Kautschukzapfern um.“
    Kautschuk war ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Religion. Wegen des Kautschuks waren ihre Vorfahren vor über hundert Jahren nach Rio Branco gekommen, wie Rubens’ Vater jedes Jahr Weihnachten allen Kindern erzählte.
    „Früher war Brasilien das einzige Land auf der Welt, wo es Kautschuk gab“, sagte er dann.
    Die kleineren Kinder hörten ihm immer gespannt zu, während die größeren die Geschichte schon fast auswendig kannten.
    „Damals tropfte der Kautschuk einfach aus den Baumstämmen, doch dann kam der berühmte irische Arzt Doktor Dunlop auf eine großartige Idee. Er hatte einen Sohn in deinem Alter, Rubens, der an einem Dreiradrennen teilnehmen sollte. Doktor Dunlop erfand einen mit Luft gefüllten Gummireifen, damit sein Sohn schneller fahren konnte.“
    „Hat der Junge das Rennen gewonnen?“
    „Er war schnell wie der Wind. Und plötzlich war Kautschuk wie Gold. Europa und Amerika brauchten dringend Kautschuk, und damit brauchten sie auch Brasilien.“
    Die von Würmern geplagten Kinder bekamen vor Stolz ganz leuchtende Augen. Das kam selten vor. In der Stadt wurden die Kinder der Seringueiros gehänselt und als dumm und schmutzig beschimpft.
    „Aber wer sollte den Kautschuk ernten ? Im Dschungel lauerten Gefahren wie die

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