Todessymphonie (German Edition)
nicht.
Der Sarg hatte an jedem Ende zwei Schlösser, die den Deckel sicherten. In der Mitte verlief eine Trennscheibe, die den Sarg in zwei Hälften teilte, jede gerade groß genug für eine zierliche Frau. Kendra lag im rechten Teil. Taylor sah, dass die Bodenplatte lauter kleine Löcher hatte. Sofort dachte sie an das Muster auf den Leichen von Allegra Johnson und Leslie Horn. Die Punkte. Ohne Zweifel waren sie am richtigen Ort.
„Jesus, macht mir mal mehr Licht. Armstrong, bringen Sie den Bolzenschneider.“
„Lebt sie noch?“ McKenzies Stimme war nur ein angespanntes Flüstern.
„Ich weiß es nicht.“
Sie hörte, wie Armstrong die Treppe hinauflief, und sah sich in dem Raum um. Er war unterteilt. Es gab einen Computer auf einem Schreibtisch, der Bildschirm war schwarz. Ein großer Bollerofen in einer Ecke, ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, einer leeren Flasche Wein und abgebrannten Kerzen. Eine abgenutzte Matratze mit Kissen vor dem Ofen – oh, daran wollte sie gar nicht erst denken. Jetzt noch nicht.
Armstrong kehrte zurück und brach die Schlösser auf. Sie öffneten den Deckel. Das Mädchen sah grau aus; ihre Augen waren immer noch geschlossen. Taylor fühlte an der Halsschlagader nach dem Puls. Sie erwartete nicht, etwas zu fühlen, doch sie spürte ein winziges Flattern, wie das Herz eines Vogels.
„Sie lebt! Ruft sofort einen Krankenwagen!“ Taylor beugte sich vor und lehnte sich über das Mädchen, um ihren Atem zu checken. Das leichte Heben und Senken ihres Brustkorbs war in dem dämmrigen Licht kaum auszumachen. Sie überlegte noch mal.
„Armstrong, ich weiß nicht, ob wir die Zeit haben, auf den Notarzt zu warten. Die brauchen bestimmt zwanzig Minuten hierher. Können Sie sie fahren?“
„Klar. Ins Baptist?“
„Ja. Mit Blaulicht und Sirenen. Sie ist in Lebensgefahr, Sie müssen sich beeilen.“
Als Armstrong und Taylor die leblose Kendra aus dem Sarg hoben, flatterten ihre Lider, dann öffnete sie die Augen. Ihr Blick war voller Panik, wie ein Pferd, das vor einer Schlange zurückscheut. Die Pupillen waren stark geweitet.
Taylor sprach leise mit ihr, versuchte, sie zu beruhigen. „Alles in Ordnung, Kendra. Wir haben dich. Wir sind von der Metro Police. Er ist weg. Du bist jetzt in Sicherheit. Alles wird wieder gut.“
Eine einzige dürftige Träne glitt über die Wange des Mädchens. Dann flüsterte Kendra ein einziges Wort in Taylors Ohr. „Puppen“, sagte sie. Ihre Augen schlossen sich. Sie war zu schwach, um zu weinen.
Taylor schaute sich um und erblickte eine Spritze unter dem Sarg. Shit.
„Beeilen Sie sich, Armstrong. Sie wirkt betäubt. Er hat ihr irgendwas gegeben, um die Sache zu beschleunigen. Sie muss umgehend in ein Krankenhaus.“
Sie eilten die Treppe hinauf, betteten Kendra auf den Rücksitz des Streifenwagens und sahen Armstrong hinterher, der mit Blaulicht und Sirene die Straße hinunterraste. Dann rief Taylor bei Rowena an.
„Ich habe sie gefunden, Rowena. Sie ist im Moment auf dem Weg zum Baptist Hospital.“
Der Rest von Tims Spurensicherungsteam kam und verteilte sich im Haus, um jedes noch so kleine Beweisstückchen aufzusammeln, dessen sie habhaft werden konnten. Paula und Max waren zu einem anderen Fall gerufen worden. Tim Davis nahm Fingerabdrücke von dem Sarg, während Keri McGee für die Nachwelt alles auf Video festhielt. McKenzie war nach oben gegangen, um den Gerichtsbeschluss auf alles, was sich im Haus befand, ausweiten zu lassen. Julia Page stand neben dem Plexiglassarg, bleich wie ein Geist, und dokumentierte alles, was um sie herum geschah, in ihrem kleinen Moleskin-Notizbuch.
Taylor durchsuchte Gavin Adlers Computer. Der graue Kater hatte es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht und schnurrte sich ins Delirium.
„Hast du so etwas jemals gesehen, Taylor?“, fragte Tim. Sie war überrascht; er hatte noch nie ihren Vornamen benutzt.
„Nein“, sagte sie. „Ich habe schon viel gesehen, aber das hier setzt allem die Krone auf.“
Sie schaute sich in dem Raum um, der nun von Tims Strahlern hell erleuchtet war. Sie stellte sich die Dunkelheit vor, die Schatten, die das Feuer in dem Ofen an die Wände warf, die erstickten Schreie der Mädchen, die sterbend in dem Plexiglassarg lagen.
Der Computer war hochgefahren. Die Eingabe eines Passworts wurde verlangt. Mist. Wo war Lincoln, wenn man ihn brauchte?
Sie machte ein paar wahllose Versuche. Gavin Adler. GAdler. Nichts. Von dem Strafzettel, den Armstrong dem Mann ausgestellt
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