Todessymphonie (German Edition)
Lieblingsmannschaft seines Adoptivvaters gewesen war. Beide rührten die drei Löffel Zucker in ihrem Espresso mit dem Stil des Kaffeelöffels um, beide reinigten ihre Zähne schon beinahe manisch zwei Mal am Tag mit Zahnseide, beide hatten im Alter von drei Jahren einen Leistenbruch, der operiert werden musste, und beide wurden beim Anblick von Blut ohnmächtig.
Aber es war ihre leidenschaftliche Hingabe an die Kunst, die Gavin am meisten faszinierte.
„Ich denke immer noch, ich träume“, sagte er. „Hier sitze ich nun einem der talentiertesten Fotografen der Welt gegenüber, dem Mann, von dem ich seit Jahren ein Fan bin, und er ist mein eigen Fleischund Blut. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich wusste wirklich nicht, dass du Morte bist.“
„Ich wollte nicht, dass du es weißt, Gavin. Ich musste herausfinden, ob du wie ich bist, und die einzige Möglichkeit, das zu tun, war, eine Welt zu erschaffen, in der du aufblühen konntest. Ich wollte das Beste für dich, wollte dich wissen lassen, dass du nicht alleine bist.“
Sie wuschen das Geschirr ab und machten es sich dann mit einem Grappa auf der butterweichen Ledercouch gemütlich. Gavin fühlte sich betrunken – die Zeitverschiebung, der Wein und jetzt der Grappa waren zu viel für ihn.
Tommaso ging an seine Stereoanlage und wählte eine CD aus. Die ersten Töne von Beethovens Klaviersonate Nummer 14 schwebten durch den Raum. Gavin war in seinem ganzen Leben noch nie so allumfassend glücklich gewesen.
„Wann hast du es gewusst, Tommaso? Wann ist es dir das erste Mal bewusst geworden?“
„Das erste Mal.“ Ein verträumter Ausdruck legte sich über Tommasos Gesicht. „Meine Mutter hat auf der Aviano Airbase im Krankenhaus gearbeitet. Nach der Schule bin ich immer dort abgesetzt worden und musste diese langen Flure entlanggehen, um zu ihr zu kommen. Die Leichenhalle war im gleichen Gebäude, und eines Tages habe ich mich hineingestohlen. Es war berauschend. Der Geruch, die Spannung. Direkt hinter der Tür lag eine Frau auf einer Bahre. Man hatte sie bestimmt aus irgendeinem Grund dort abgestellt, aber ich wusste nicht, warum. Ich fuhr mit meiner Hand unter das Tuch, das sie bedeckte. Sie war so kalt, so steif. Ich bemerkte, dass ich eine Erektion hatte, und masturbierte. Meine Unterwäsche versteckte ich danach in einem Abfalleimer, damit meine Mutter es nicht bemerken würde. Danach konnte ich nicht mehr anders, ich verbrachte jeden Nachmittag ein wenig Zeit dort. Sie hatten keine Wache da, und es war leicht für mich, hineinzugelangen und zu spielen. Es war eine wunderschöne Zeit.“
„Das ist so schön. Mein erstes Mal war eine Freundin. Ich hatte immer schon davon geträumt, mit ihr zusammen zu sein, aber sie war so lebhaft, so laut. Ich ziehe die Stille vor, die Bewegungslosigkeit. Eines Nachmittags haben wir uns gestritten, und ich habe siegeschlagen. Sie fiel hart auf den Boden und war endlich ruhig. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wusste nur, dass sie schwer verletzt war und ich verdammt viel Ärger bekommen würde. Ich habe sie dann in die Badewanne gelegt, Wasser eingelassen und sie so lange untergetaucht, bis ihr Herz aufhörte, zu schlagen. Aber sie so nackt zu sehen … ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich habe sie wieder aus der Wanne geholt. Ich musste fühlen, wie es war, in ihr zu sein. Danach gab es für mich kein Zurück mehr und ich habe versucht, den Drang so gut es geht zu unterdrücken.“
„Das habe ich gar nicht erst versucht. Ich konnte nicht. Das Verlangen, der Trieb war einfach zu stark.“
„Deshalb hast du angefangen, sie schneller zu töten?“
„Ja. Ich konnte nicht mehr warten.“
„Ich mag es immer noch, mir Zeit zu lassen. Ich mag die Vorfreude.
Es ist wie eine Belohnung für gutes Verhalten. Warum glaubst du, sind wir so, Tommaso?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Wir arbeiten innerhalb der Ekstase der Liebe, du und ich. Es gibt keine gute Erklärung.“
„Weißt du auch, wer Necro ist?“
„Nein, das weiß ich nicht. Ich habe ihn gefunden, als ich nach dir gesucht habe. Eine Weile dachte ich sogar, er könnte du sein. Er ist aber nicht so weit entwickelt wie wir.“
„Das stimmt.“
Sie saßen ein paar Minuten schweigend da, dann sagte Gavin: „Tommaso, nachdem du es schließlich wusstest, wieso bist du da nicht direkt zu mir gekommen? Warum hast du mich nicht von Anfang an wissen lassen, dass du mein Bruder bist? Wie lange hast du es schon
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