Todessymphonie (German Edition)
gewusst?“
Tommaso kippte den Grappa hinunter und schenkte sich nach. „Nur ein Jahr. Als meine Mutter starb, hat sie mich ins Vertrauen gezogen. Ich wusste, dass ich adoptiert war, aber das war zwischen uns nie ein Thema gewesen. Meine Eltern liebten mich, so wie sie ihr eigen Fleisch und Blut geliebt hätten. Aber sie hatten mir nie erzählt, dass ich ein Zwilling war. Mein Vater ist vor sechs Jahren gestorben, also gab es nur noch meine Mutter und mich. Wenn sie ginge, hätte ich niemanden mehr gehabt. Ich schätze, sie wusste, wie fürchterlich einsam ich sein würde, und so hat sie mir das wichtigste Geschenk meines Lebens gemacht. Mit ihrem Tod wurdest du geboren.“
„Also wusste sie die ganze Zeit meinen Namen?“
„Nein, den wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass wir von der Adoptionsagentur getrennt worden waren. Mehr Informationen besaß sie nicht, weder deinen Namen, noch wer deine Eltern waren, wohin du vermittelt worden warst. Anfangs war ich wütend, aber dann habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Es gibt eine Datenbank, bei der man sich anmelden kann, um seine biologischen Eltern zu finden. Ich habe mich beworben, und da sie verstorben waren, erhielt ich die Informationen sehr schnell. Von da aus habe ich mich dann auf die Suche gemacht. Unsere leibliche Mutter war verrückt, weißt du. Schizophrenie. Eines Abends hat sie die Kontrolle verloren und hat erst unseren Vater und dann sich erstochen. Wir waren danach noch mindestens einen Tag lang in der Wohnung. Die Zeitschriften haben wochenlang darüber berichtet. Ist ja auch eine zu schöne Geschichte, das Grauen der beiden Babys allein mit ihren toten Eltern. Dann hat uns das Jugendamt an Louise Wise übergeben, die uns getrennt vermittelt hat. Den Rest der Geschichte kennst du ja.“
„Mein Gott. Hast du die Berichte? Ich würde sie gerne auch einmal lesen.“
„Natürlich. Dafür werden wir noch ausreichend Zeit haben.“ „Es muss nett sein, gute Eltern zu haben. Meine waren nicht sonderlich angenehm.“
„Ich habe dir applaudiert dafür, dass du sie getötet hast. An dem Tag bist du zum Mann geworden.“
Gavin rutsche unbehaglich hin und her. Er mochte es nicht, an diesen Teil seiner Vergangenheit erinnert zu werden. Tommaso hatte recht; er war an dem Tag wiedergeboren worden. Genau, wie er gestern wiedergeboren worden war, als Tommaso ihm erzählt hatte, wer er wirklich war. Er hatte noch eine lange Reise vor sich. Tommaso war so gebildet, so viel mehr ein Künstler, als er selber.
„Ich hatte keine Wahl. Es war entweder sie oder ich. Ich konnte es nicht länger ertragen.“
„Es tut mir leid, dass du es so schwer hattest. Sprechen wir lieber von etwas Schönerem, etwas, das dich glücklich macht. Erzähl mir von deiner Letzten – Ophelia im plätschernden Bach. Hast du die Fotos? Ich habe Millais gesehen, als ich in London war. Es ist ein traumhaftes Bild.“
Gavin ging zu der Tasche, die er als Handgepäck dabei gehabt hatte, und holte den USB-Stick heraus.
„Hast du etwas, wo ich den hineinstecken kann?“
„Was ist das? Wo ist dein Laptop?“
„Den habe ich zu Hause gelassen. Ich hatte mir Sorgen gemacht, sie würden mich an der Sicherheitskontrolle bitten, ihn anzuschalten und könnten dann die Bilder finden. Also habe ich sie auf diesen Stick überspielt.“
Tommaso starrte ihn mit einem Ausdruck reinsten Entsetzens an.
„Wenn du die Originale vernichtet hättest, wie ich es dir gesagt habe, hätte niemand etwas auf deinem Laptop finden können.“ Seine Stimme wurde immer lauter. „Du hast ihn in deinem Haus gelassen? Hast du wenigstens die Festplatte zerstört?“
„Äh, nein. Ich habe sie mit einem Passwort geschützt.“
Tommaso stand wütend auf. Sein Gesicht sah nicht länger vertraut aus. Einen kurzen Moment lang fragte Gavin sich, ob er auch so aussah, wenn er wütend war, und ein leichter Schauer durchfuhr ihn. Tommasos Fäuste waren geballt, seine Schultern angespannt. Instinktiv duckte Gavin sich ein wenig und versuchte, etwas Abstand zu schaffen.
„Bitte, bitte sag mir, dass du das Mädchen getötet hast, Gavin. Sag mir, dass du nicht noch mehr Beweise hinterlassen hast.“
Gavin erkannte, dass er einen riesigen Fehler gemacht hatte. „Es tut mir leid. Ich habe ihr eine Überdosis Heroin gespritzt. Auf gar keinen Fall kann sie das überlebt haben. Sie müsste in der Nacht gestorben sein. Und ich dachte, wenn ich wieder nach Hause komme … Und ich muss wieder nach Hause, Tommaso. Ich
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