Todessymphonie (German Edition)
feste Größe und arbeitete als Priester in der Kathedrale. Sie wusste, dass er Ende vierzig war, kannte jedoch nicht sein genaues Alter.
„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Sir“, sagte McKenzie. Taylor warf ihm einen scharfen Blick zu. Er schien dem Geistlichen gegenüber sehr ehrerbietig zu sein. War er womöglich Katholik? Mit einem Namen wie McKenzie standen die Chancen gut.
Sie wandten sich dem Gebäude zu, in dem sie hoffentlich ein paar Antworten zu Allegra Johnson finden würden.
Taylor ignorierte die rüden Gesten, die Anzüglichkeiten und Drohungen. Sie ging an den gleichförmigen, heruntergekommenen Häusern entlang zu der Eingangstür des Gebäudes, zu dem sie wollten. Die Tür stand weit offen. Die Häuser waren erst vor ein paar Jahren renoviert worden, und doch fielen sie schon wieder in sich zusammen. Niemand fühlte sich ausreichend verantwortlich, um sie ein wenig in Schuss zu halten.
Sie klopften. Eine brüchige Stimme rief: „Komm rein.“
Taylor legte ihre Hand leicht auf ihre Waffe; ein Reflex, wann immer sie ein fremdes Gebäude betrat. Sie gingen in die enge Wohnung im Erdgeschoss. Die Wände waren in einem dunklen Walnussholz getäfelt. Spitzenvorhänge, ganz vergilbt vom Zigarettenrauch, hingen schlaff am Fenster. In einem Holzpaneel sah Taylor ein Loch von einer Kugel. Der Teppich war ein dreckiger, orangefarbener Fetzen, mindestens eine Million Jahre alt, der nicht ganz bis in alle vier Ecken des Raumes reichte. Übel riechende Verzweiflung hing in den Ecken wie verlassene Spinnenweben.
Mit gekräuselter Nase machte Taylor vier Schritte, die sie in die Küche führten. Irgendwas huschte vor ihren Füßen davon – Mäuse, Kakerlaken, Silberfische? Sie wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Allerdings wusste sie sofort, warum die Wohnung so ein Sauhaufen war. An dem winzigen, wackeligen Küchentisch saß eine alte Frau. Ihre Augen waren milchig weiß und wirkten durch die blauschwarze Haut noch undurchlässiger. Sie war alt. Sehr, sehr alt. Ihre blinden Augen suchten nach den Gästen. Taylor unterdrückte einen Fluch. Die Frau sollte in einem Heim leben, wo sich Menschen um sie kümmerten und nicht hier ganz allein.
Irgendwas, das Erkenntnis ähnelte, zeigte sich in den leeren Augen der Frau. Einen Moment lang schien es, als wären sie allein, nur sie beide in der fauligen kleinen Küche. Die Frau schaute Taylor direkt in die Seele. Taylor bekam eine Gänsehaut und rieb sich mit den Händen über die Arme, um das unheimliche Gefühl loszuwerden.Einen guten Meter entfernt von der Frau blieb sie stehen und streckte auch nicht zur Begrüßung ihre Hand aus.
„Ma’am? Ich bin Detective Jackson von der Mordkommission. Bei mir sind Detective McKenzie und unser Kaplan, Father Victor. Kennen Sie eine junge Frau namens Allegra Johnson?“
„Ist sie tot?“, fragte die Frau.
„Ma’am, sind Sie mit Miss Johnson verwandt?“
„Ist mein Enkelkind. Ist sie tot?“, fragte sie noch einmal.
„Wie lautet Ihr voller Name, Ma’am?“, fragte Father Victor sanft.
„Ethel Johnson. Mein Mädchen ist tot“, sagte sie mit einer gewissen Endgültigkeit. Dann fing sie an zu weinen. Leise und gequält liefen die Tränen ungehindert über ihre mahagonifarbenen Wangen.
Taylor erkannte den Ton in der Stimme der alten Frau. Verzweiflung gepaart mit Ironie. Mit dem Wissen, das es keinen anderen Grund für die Anwesenheit eines Polizeibeamten in ihrer Wohnung gab als den, ihr die schlechten Nachrichten zu überbringen. Ihre Schultern sackten ein wenig zusammen, und Taylor trat näher heran. Sie hasste es, dass sie einer einsamen Frau so viel Schmerz brachte, aber sie musste weiter fragen, musste so viele Informationen bekommen wie möglich.
„Ja, Ma’am. Wir haben Allegras Leiche spät am gestrigen Abend gefunden und ihre Fingerabdrücke gleich heute Morgen abgeglichen.“ Taylor hatte ein Foto mitgebracht, das in der Rechtsmedizin gemacht worden war, aber das war hier leider völlig nutzlos. „Gibt es irgendetwas, das uns bei einer formellen Identifizierung weiterhelfen könnte? Haben Sie vielleicht ein Foto von Allegra? Wir wollen absolut sichergehen, dass wir über das selbe Mädchen sprechen.“
„Bilder sind in ihrem Schlafzimmer am Ende des Flurs. Die sollten reichen. Hat dieser Tyrone sie endlich zu Tode geprügelt, was?“
„Wer ist Tyrone, Ma’am? Ihr Freund?“
„Pah“, spuckte die alte Dame aus. „Freund. Ein Mädchen wie sie hat einen Zuhälter. Einen
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