Todessymphonie (German Edition)
Frau winkte in Richtung des Flurs. Die Wohnung hattezwei Schlafzimmer und ein Bad am anderen Ende des Korridors. Sie war knapp fünfundsiebzig Quadratmeter groß, wenn man die Einbauschränke mitrechnete.
Der winzige Raum zur Rechten war das Zimmer der Großmutter; es roch nach Urin und Sandelholz und etwas Düsterem. Das Zimmer auf der Linken war kleiner, aber weniger übel riechend. Ein schwarzer Vorhang, der halb vor dem Fenster hing, ließ dünne Sonnenstrahlen ins Zimmer fallen. Ein ungemachtes Einzelbett war in eine Ecke geschoben; die rosa-weiß gestreifte Bettwäsche sah aus, als müsste sie mal gewaschen werden. Über dem Bett hing ein hölzernes Kreuz, daneben ein vergilbtes Foto eines lächelnden jungen Mädchens. Sie war vielleicht acht und hatte ihre Arme um eine ältere Version von sich selbst geschlungen. Das Bild zeigte definitiv dieselbe Frau wie das aus der Rechtsmedizin. Taylor schaute es an, ohne es von der Wand zu nehmen. Die ältere Frau musste Allegras Mutter gewesen sein. Sie hatten die gleiche Nase, die gleichen schräg stehenden Augen.
Das Bild und das Kreuz waren der einzige Schmuck an den grauen Wänden. Es gab nichts Überflüssiges in der billigen Einrichtung – ein Bett, eine kleine Holzkommode mit zerkratzter Oberfläche, Klamotten auf dem Boden. Sie bewegten sich systematisch durch den Raum, schauten in Schubladen, unterm Bett, gingen den kleinen Haufen Kleidung in der Ecke durch. Taylor fand etwas, das vielleicht mal als Tagebuch angefangen hatte, nun aber hauptsächlich gedankenverlorene Kritzeleien enthielt. Sie legte das Büchlein auf den Schreibtisch.
„Wir müssen jemanden von der Spurensicherung hier durchschicken. Er soll sehen, ob er irgendwelche fremden Fingerabdrücke oder DNA-Proben findet, die Rückschlüsse auf ihren Entführer zulassen“, sagte Taylor.
„Ich sag eben Bescheid.“
Im Badezimmer fanden sich die typischen weiblichen Artikel – Cremes und Lotions, Make-up, Mascara, eine zerdrückte Tube eines Mittels gegen Hefepilzinfektionen, alle die Sachen, die verrieten, dass eine junge Frau hier wohnte. In dem Kosmetiktäschchen fanden sich zwei Spritzen, ein kleiner Löffel und eine Crackpfeife. Allegras Blutuntersuchung würde sicher interessante Ergebnisse bringen. Sie hatte definitiv Drogen konsumiert. Und sie hatte sie nichtmitgenommen, was erstaunlich war. Es verriet Taylor, dass Allegra nicht geplant hatte, länger von zu Hause fortzubleiben.
Wie also kam es, dass ein Mädchen aus den Sozialsiedlungen an einer Säule im Wohnzimmer eines Hauses am Love Hill endete?
„Verdammte Schande“, flüsterte McKenzie.
„Da sagst du was“, erwiderte Taylor. „Das soll sich die Spurensicherung alles genauer ansehen.“
Sie kehrten in die Küche zurück, wo Father Victor ein Trostgebet für Mrs Johnson sprach.
„Möge Christus uns den ganzen Tag über beschützen, bis die Schatten länger werden und der Abend kommt und die geschäftige Welt ruhig wird und das Fieber des Lebens vorüber ist und unsere Arbeit vollbracht. Dann möge Er uns in Seiner Gnade ein sicheres Heim geben und heilige Ruhe und immerwährenden Frieden. Amen.“
Taylor blieb ruhig stehen, bis er das Kreuz schlug und aufstand. Erst dann wandte sie sich erneut an die Frau. Sie hatte beinahe Angst, zu sprechen. Sie wollte das Gebet nicht seiner Kraft berauben, das bisschen Güte verscheuchen, das sich einen Moment lang um die alte Dame gelegt hatte. Doch dann hustete Mrs Johnson – harte, keuchende Atemzüge –, und der Moment war vorüber.
Taylor fragte sanft: „Ma’am, haben Sie irgendwelche Informationen, wie wir Tyrone erreichen können?“
„Er hängt an dem Minimart Ecke Claiborne und Lafayette herum. Sollte jetzt dort sein, falls ihm nicht schon jemand einen Tipp gegeben hat. Das Mädchen, das eben hier war. Sie arbeitet auch für ihn. Beeilen Sie sich lieber, wenn Sie ihn erwischen wollen. Sie hat ein Mundwerk wie ein Motorboot.“
Die Frau gab wieder diese gutturalen Geräusche von sich. Taylor erkannte, dass es ein freudloses Lachen war. Sie wurde still, dann schien sie in sich selbst zu versinken und zog ihren Kopf wie eine Schildkröte in den Kragen ihres fleckigen Kleides.
Taylor nickte Father Victor zu, dann dankte sie Mrs Johnson. McKenzie stand an der Wohnungstür, das Handy ans Ohr gedrückt. Sie bedeutete ihm, ihr zu folgen, und trat aus der Düsterkeit an die frische Luft. Im Wind lag die klebrige Süße von Marihuanarauch. Ihr war es egal. Sie wollte nur noch
Weitere Kostenlose Bücher