Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
Gehabe - wozu?«
Claudine lachte.
»Tja, Chef, das kann ich Ihnen auch nicht beantworten. Da müssten Sie diese KVs schon selbst fragen.«
»KVs? Was meinen Sie damit?«
» Kesse Väter. Lesbische Frauen, die eine weibliche Rolle bewusst ablehnen und sich eher männlich gebärden. So würde ich jedenfalls diese beiden einstufen.«
»Da gebe ich Ihnen recht. Aber woher kennen Sie solche Ausdrücke? KVs - hab ich noch nie gehört!«
»Ich lebe ja nicht hinter dem Mond, Chef.«
LaBréa sah sie belustigt an.
»Ach, Sie meinen damit wohl, dass ich hinter dem Mond lebe?«
»Das haben Sie gesagt.« Claudine strich sich die Haare aus der Stirn. »Aber man kann ja auch nicht alles wissen«, fügte sie diplomatisch hinzu.
LaBréa steuerte auf das geparkte Motorrad zu.
»Scheint ja ein uraltes Modell zu sein«, sagte er kopfschüttelnd. »Aber es glänzt wie frisch geputzt.«
Claudine nickte und meinte mit Kennerblick: »Eine BMW R 35. Ein Oldtimer, besser gesagt: ein Klassiker. Wurde Mitte der Fünfzigerjahre gebaut. Deutsche Wertarbeit, wie es so schön heißt. So eine Maschine kostet einiges. Ersatzteile sind schwierig zu beschaffen. Wer so ein Ding fährt, ist erstens ein passionierter Biker und muss zweitens in der Lage sein, selbst daran herumzubasteln.«
LaBréa war perplex.
»Sagen Sie mal, Claudine, woher …?«
Seine Mitarbeiterin unterbrach ihn.
»Woher ich das alles weiß? Mein Mann ist Motorradfan und sammelt alte Harley-Davidsons. Sozusagen sein Hobby. Bei uns zu Hause liegen stapelweise Fachzeitschriften und Bildbände über alte Motorräder. In den letzten Jahren habe ich mich notgedrungen ein wenig mit dieser Materie beschäftigt. Habe ich Ihnen mal erzählt, dass wir vor fünf Jahren unsere Hochzeitsreise mit einer seiner Harleys gemacht haben? Zwei Wochen algerische Sahara.«
»Nein, das haben Sie mir nie erzählt. Der Traum von Freiheit und Abenteuer?«
»Wie man’s nimmt. Auf jeden Fall war es relativ exotisch. Heiße Tage in staubiger Hitze, kalte Nächte unter freiem Himmel mit Skorpionen im Schlafsack und heulenden Hyänen als Untermalung. Und ständig jede Menge Sand im Getriebe, und das meine ich wörtlich.«
Sie holte Notizbuch und Kugelschreiber aus ihrer Daunenjacke und schrieb sich die Nummer des Motorrads auf.
»Bis zur Talkrunde um sieben weiß ich, wer der Halter dieses Schmuckstücks ist.«
Kurz nach achtzehn Uhr. LaBréa saß hinter seinem Schreibtisch und wählte die Nummer von Véronique Andrieu. Nachdem sie mehrere Jahre als Profilerin in den USA tätig gewesen war, arbeitete sie seit geraumer Zeit als Psychologin in Paris. Im Dezember hatte
sie LaBréa und seinem Team bei der dramatischen Jagd auf den Schlitzer von der Bastille wertvolle Hinweise gegeben, sodass dieser endlich dingfest gemacht werden konnte.
Nach dreimaligem Klingeln hob Véronique am anderen Ende den Hörer ab.
»Hallo, Maurice! Wie schön, dass du dich mal wieder meldest.« Sie zögerte einen Moment. »Aber doch hoffentlich nicht, weil …?«
LaBréa unterbrach sie und lachte.
»Nein, nein, keine Angst, es ist kein neuer Serienmörder aufgetaucht. Ich hätte nur gern eine Auskunft von dir. Kennst du eine Kollegin namens Christine Payan? Eine Psychologin, Praxis und Privatadresse Rue Jean Anouilh?«
Die Antwort kam umgehend.
»Nein. Der Name sagt mir nichts. Was ist mit ihr?«
»Nichts Besonderes. Ich wüsste nur gern mehr über sie. Sie betreut vorwiegend Gewaltopfer. Frauen, die vergewaltigt und misshandelt wurden, auch geschlagene Ehefrauen, vermute ich.«
»Dann hat sie meinen allergrößten Respekt, Maurice. Das ist eine echte Drecksarbeit. Die macht man nicht, um viel Geld zu verdienen, was man ja in meinem Job zweifellos kann, wenn ich an die vielen Patienten aus besseren Kreisen denke, die sich ihre zwei bis drei wöchentlichen Sitzungen beim Psychologen einiges kosten lassen. Wer mit misshandelten und missbrauchten Kindern oder Frauen arbeitet, ist
äußerst engagiert und parteiisch und tut es um der Sache willen. Aber nochmals, Maurice, worum geht es eigentlich?«
»Um diese Sprayeraktionen gegen Vergewaltiger, mit denen eine Gruppe von Frauen Rache übt. Du hast doch bestimmt darüber gelesen.«
»Natürlich. Und als Frau muss ich dir sagen, dass ich diese Aktionen richtig toll finde.«
»Tatsächlich? Und was würdest du sagen, wenn aus Spaß Ernst würde?«
»Was meinst du damit?«
»Wenn aus einer symbolischen Kastration mittels Kunstharzlack eine echte Kastration
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