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Todesträume am Montparnasse

Titel: Todesträume am Montparnasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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eingerichtet hat. Dass die Menschen nach ihrem Tod, im Paradies mit dem ewigen Leben für ihren irdischen Tod entschädigt würden. Es wäre ihm schäbig vorgekommen, seiner Tochter eine Geschichte zu erzählen, an die er selbst nicht glaubte. Er wollte Jenny weder belügen noch mit irgendwelchen Floskeln abwimmeln. Schließlich sagte er: »Alles auf der Welt hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Ein Samenkorn geht auf. Daraus erwächst eine Blume, sie erblüht und verwelkt. So ist es mit allem. Wir Menschen reihen uns ein in diesen Kreislauf der Natur, die in dieser Hinsicht keine Ausnahmen kennt.« Jenny hatte einen Moment darüber nachgedacht und dann gemeint: »Aber Mama hatte gar keine richtige Mitte. Eigentlich hatte sie nur einen Anfang und ein Ende, oder, Papa?« Er widersprach. »Sie hatte schon eine Mitte, Chérie, aber die war kürzer als bei anderen Menschen.« - »Ja, aber warum?« - »Darauf gibt es keine Antwort, Jenny. Und das ist das
Schwerste im Leben, glaub mir - wenn es keine Antworten gibt.«
    Der Taxifahrer hielt am Quai des Orfèvres Nummer sechsunddreißig.
    LaBréa zahlte, stieg aus und betrat sein Dienstgebäude. Auch wenn es auf manche Dinge keine Antworten gab, im Mordfall Pascal Masson musste er sie unbedingt finden.
     
    Im Erdgeschoss begegnete ihm sein Vorgesetzter, Direktor Roland Thibon. Er war erst seit dem Vortag wieder im Dienst. Nach einem schweren Autounfall wenige Wochen vor Weihnachten hatte er seine diversen Knochenbrüche ausgeheilt und auf einen längeren Aufenthalt in einer Rehaklinik verzichtet. Und das aus gutem Grund. In der Abteilung der Brigade Criminelle und in Kreisen der Ermittlungsrichter hielt sich hartnäckig das Gerücht, der Polizeipräfekt werde als Staatssekretär ins Innenministerium wechseln und somit sein Stuhl frei werden. Jeder wusste, dass Thibon diesen Posten schon lange anpeilte. Insofern wollte er rechtzeitig die Fäden ziehen und sich in Stellung bringen. Ein längerer Aufenthalt in einer Rehaklinik hätte seine Chancen, der nächste Pariser Polizeipräfekt zu werden, von vornherein auf null heruntergeschraubt. Da Roland Thibon in der falschen Partei war, glaubten ohnehin nur wenige Mitarbeiter am Quai des Orfèvres, dass er für den frei werdenden Posten infrage kam. Es wurden bereits
Wetten abgeschlossen, die meisten zu Ungunsten des Direktors.
    »Ich hab’s gerade gehört«, begann Thibon und rückte seine tadellos gebundene Krawatte zurecht, die farblich exakt zu seinem Pfeffer-und-Salz-Tweedanzug passte. »Ich muss sagen, LaBréa, die Fälle, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, werden immer unappetitlicher.« Und als müsse er seine Worte unterstreichen, zog Thibon angewidert die Mundwinkel nach unten.
    »Da gebe ich Ihnen recht, Monsieur«, erwiderte LaBréa.
    »Schon eine Ahnung, was dahinterstecken könnte?«
    »Bisher noch nicht. Wir untersuchen auch einen möglichen Zusammenhang mit dem Selbstmord in der Santé.«
    »Die äußerst brutale Vorgehensweise beim Mord an diesem Werkstattbesitzer deutet meines Erachtens auf einen Racheakt hin, LaBréa.«
    »Schon möglich, Monsieur. Wir stehen erst ganz am Anfang.«
    Direktor Thibon nickte vage und fuhr dann mit bedeutungsschwangerer Stimme fort: »Wie sagte doch unser großer Dichter Jean Racine? Meine Rache ist vergeblich, wenn er nicht weiß, dass ich es war, der ihn getötet hat. Im Klartext heißt das: Der Mörder dieses Pascal Masson wird sein Opfer bewusst ausgewählt haben. Und der Ausschnitt aus dem Boléro von Ravel hat mit Sicherheit eine ganz bestimmte Bedeutung.«

    »Diese Schlussfolgerung habe ich ebenfalls gezogen, Monsieur«, sagte LaBréa trocken und verkniff sich angesichts der banalen und wenig hilfreichen Äußerungen seines Vorgesetzten ein Grinsen.
    »Umso besser. Sehen Sie zu, dass Sie den Kerl schnell fassen, LaBréa. Vielleicht ist es ja auch eine Frau - oder möglicherweise sind es sogar mehrere? Heutzutage weiß man ja nie.«
    Jetzt bog Jean-Marc um die Ecke des Korridors. Er hatte sich seiner bunten Ballonmütze und der alten Flic-Pelerine entledigt, und LaBréa sah, dass die dunklen, gegelten Haare des Paradiesvogels mit einer hellblonden Strähne verziert waren. Das war gestern noch nicht der Fall gewesen.
    Thibon, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte, drehte sich noch einmal um.
    »Übrigens, Lagarde«, sagte er zu Jean-Marc. »Ich glaube nicht, dass es dem Ansehen eines Leutnants der Brigade Criminelle zuträglich ist, tagaus, tagein in einer

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