Todesträume am Montparnasse
schrillen und, wie würden Sie es nennen?, ›flippigen‹ Aufmachung herumzulaufen. Ich bin zwar tolerant und bekanntermaßen alles andere als ein Spießer. Aber es gibt da ein russisches Sprichwort, ich weiß nicht, ob Sie es kennen.« Sein Blick streifte den Haarschopf des Leutnants. » Ins Paradies wird man nicht an den Haaren gezogen. Lassen Sie sich das einmal durch den Kopf gehen!«
»Jawohl, Monsieur le Directeur«, antwortete Jean-Marc und nahm so etwas wie Haltung an.
Roland Thibon schüttelte den Kopf und ging davon, wobei er sein linkes Bein leicht nachzog, eine Folgeerscheinung seines Unfalls.
Jean-Marc blickte LaBréa an und grinste. Als der Direktor außer Hörweite war, sagte er: »Ob Sie’s glauben oder nicht, Chef, aber ins Paradies will ich gar nicht. Und ob der Direktor ein Spießer ist, darüber könnte man Wetten abschließen, finden Sie nicht?«
LaBréa schmunzelte. »Gehen Sie in die Kantine und besorgen Sie eine Thermoskanne Kaffee. In zehn Minuten steigt die Talkrunde.«
Mit raschen Schritten ging LaBréa in sein Büro. Bevor die Besprechung mit seinen Mitarbeitern begann, wollte er versuchen, Céline in Barcelona über ihr Handy zu erreichen.
Sie meldete sich sofort, und die Verbindung war gut. Céline befand sich gerade in ihrem Hotel. In einer halben Stunde hatte sie einen Interviewtermin bei einer katalanischen Radiostation. Sie klang gut gelaunt, und LaBréa brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass es mit seinem Besuch zur Ausstellungseröffnung vermutlich nichts werden würde. Er hatte noch ein paar Tage Zeit, ihr die Wahrheit beizubringen. Und vielleicht geschah ja ein Wunder, und der Fall war schneller gelöst als gedacht.
»Und du? Wie geht’s dir? Was macht Jenny?« Célines dunkle Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Jenny geht’s prima. Sie will am späten Nachmittag ins Kino. Und ich …«, er zögerte kurz. »Na ja, der übliche Alltagstrott. Keine besonderen Vorkommnisse.« Er war erstaunt, wie glatt ihm diese Lüge über die Lippen kam.
»Also, Maurice, dann mach’s gut. Ich freue mich auf dich. In jedem Fall versuche ich, dich Freitag am Flughafen abzuholen.«
»Gut. Dann schönen Tag noch, und toi, toi, toi! für das Interview. Wir telefonieren wieder.«
»Ich liebe dich, Maurice.«
»Ich dich auch.«
Sie legte auf.
LaBréa starrte einen Moment auf sein Handy, dann steckte er es in seine Hosentasche. Den schalen Geschmack, den er in seinem Mund spürte, spülte er mit einem Schluck Mineralwasser hinunter, das er sich aus einer angebrochenen Flasche einschenkte. Dann ging er ans Fenster und blickte auf die Seine. Ein Schleppkahn mit dem poetischen Namen Venus II tuckerte vorbei. Die Trikolore am Heck des Schiffes, deren Farben verblichen waren, hing traurig herunter.
Auf dem Quai des Grands Augustins standen die Autos im Stau. Mittagsverkehr.
Es hatte wieder zu schneien begonnen.
6. KAPITEL
Punkt vierzehn Uhr versammelte sich die Talkrunde in LaBréas Büro.
Franck begann und berichtete von seinen Recherchen beim Hauptquartier der Fremdenlegion in Marseille.
»Zunächst einmal eine kleine Information für diejenigen, die es noch nicht wissen sollten: Die Fremdenlegion besteht aus Berufssoldaten und ist voll in das französische Heer integriert. Sie untersteht demselben Oberbefehl, hat die gleiche materielle Ausstattung und erledigt im Prinzip auch die gleichen Aufgaben wie die Truppen der regulären Armee. Die Legionäre sind Freiwillige aller Nationalitäten, Rassen und Religionen. - Pascal Masson, geboren am neunzehnten Januar 1966 in Lille, hat am ersten März 1986 bei der Legion angeheuert. Da war er zwanzig Jahre alt. Er verließ die Fremdenlegion 1991.«
»Also hatte er sich für fünf Jahre verpflichtet«, rechnete Jean-Marc nach.
»Ja, das ist die Mindestdauer des Vertrages.«
»Wo war er stationiert?«, wollte LaBréa wissen.
Franck blätterte in seinen Notizen.
»Zunächst in Castelnaudary, im Süden des Landes. Und zwar von März bis Ende Juni 1986, als er seine
viermonatige Grundausbildung absolvierte. Danach trat er in das Erste Infanterieregiment der Fremdenlegion ein, das in Nîmes stationiert ist. Dieses Regiment kämpfte dann Anfang 1991 im Irak-Kuwait-Krieg. Während dieses Krieges waren Truppen der Fremdenlegion in die Operation ›Desert Storm‹ eingebunden, und zwar in der Division Daguet. Masson wurde dorthin abkommandiert, kämpfte also in diesem Golfkrieg aufseiten der Sieger. Sein Vertrag bei der
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