Todesträume am Montparnasse
seine Interessen durchsetzte. Und nichts anderes hatte er getan. Die erstbeste Gelegenheit hatte er ausgenutzt, um mit einer anderen Frau ins Bett zu gehen.
Schlecht gelaunt schlurfte LaBréa ins Bad und rasierte sich.
Er war heute Morgen so früh dran, dass er beschloss, zur Place des Vosges zu gehen. Er könnte in der Brûlerie frühstücken und danach Jenny und ihre Freundin
Alissa zur Schule bringen. Dadurch würde er auf andere Gedanken kommen, sich das unangenehme Gespräch mit Céline aus dem Kopf schlagen. Seine schlechte Laune war immer noch nicht verflogen. Er hasste private Konflikte, und doch hatte er sie selbst verursacht.
Kurz vor acht verließ er das Haus. Kein Wölkchen war am Himmel zu sehen. Es würde ein klarer und kalter Tag werden. Die Bürgersteige waren zum Teil noch mit Schnee bedeckt.
In der Rue des Rosiers kaufte er sich beim Bäcker ein Croissant. Wenig später erreichte LaBréa die Place des Vosges. Wie stets um diese Zeit herrschte in der Brûlerie reges Treiben. Kaffeeduft lag in der Luft, an den Stehtischen nahmen die Gäste ein schnelles Frühstück zu sich.
Francine Dalzon, Alissas Mutter und Besitzerin der Brûlerie, begrüßte ihn.
»Ah, Commissaire, Sie habe ich ja lange nicht gesehen.« Sie deutete auf einen Mann, der am Tresen saß. »Das ist übrigens mein Mann. Er hat ein paar Tage Urlaub und konnte zu Alissas heutigem Geburtstag kommen.«
Die beiden Männer begrüßten sich. Alissas Vater war Major der Landstreitkräfte und gehörte der Friedenstruppe in Afghanistan an. Groß gewachsen, mit kurzem Bürstenhaarschnitt und einem wettergegerbten Gesicht entsprach er genau dem Bild des kernigen Berufssoldaten. Er trank einen Mokka, und LaBréa bestellte
sich dasselbe. Er tauschte ein paar Belanglosigkeiten mit Major Dalzon, dann wurde die Tür zum Hinterzimmer aufgerissen, und die beiden Mädchen stürmten herein. Jenny war erstaunt, ihren Vater zu sehen. LaBréa umarmte seine Tochter und gratulierte Alissa zum Geburtstag.
Eine Viertelstunde später hatte LaBréa sein Croissant gegessen und einen zweiten Kaffee getrunken.
»Und, wie viele Leute hast du heute Nachmittag eingeladen?«, fragte er Alissa, als sie die Brûlerie verließen und unter den Arkaden des Platzes entlanggingen.
»Zehn. Die meisten aus unserer Klasse. Mit Jenny und mir sind wir zwölf.«
»Sind Pierre-Michel und Yannick auch dabei?«
»Ja klar. Aber sie sind die einzigen Jungen.«
LaBréa schmunzelte. »Hoffentlich fühlen sie sich nicht in der Minderheit unter lauter Mädchen.«
Jenny lachte.
»Sie sind ja in der Minderheit, Papa. Allein unter Frauen …« Sie stieß Alissa mit dem Ellbogen an, die Mädchen kicherten. »Du müsstest doch wissen, wie das ist. Du bist doch auch allein unter lauter Frauen, oder? Übrigens hat mir Céline gestern eine SMS geschickt. Sie kommt schon heute Nachmittag. Aber das weißt du sicher.«
LaBréa nickte vage.
An der Ecke Rue Charlemagne verabschiedete er die Mädchen.
»Bringst du uns nicht bis vor die Schule?«, fragte Jenny.
»Nein, heute nicht. Also, bis später, Chérie. Wir telefonieren.«
Mit raschen Schritten ging er hinunter zur Seine. Das hätte ihm gerade noch gefehlt - Jocelyn Borel vor der Schule zu begegnen. Heute war nämlich nicht ihr freier Tag, und auch ihr Unterricht begann um neun.
Er beschloss, sein Privatleben in den kommenden Stunden außen vor zu lassen und sich mit voller Kraft auf die Ermittlungen in den beiden Mordfällen zu konzentrieren.
»Sind Jean-Marc und Franck schon eingetroffen?«, erkundigte sich LaBréa, als er im Treppenhaus Claudine begegnete.
»Franck habe ich noch nicht gesehen, aber Jean-Marc ist gerade drüben bei Gilles. Wegen der Aufnahme des Boléro .«
LaBréa war erstaunt.
»Liegt denn schon ein Resultat vor? So schnell?«
»Keine Ahnung.«
»Haben Sie das Tribunal in Den Haag kontaktiert?«
»Vor einer Stunde habe ich Stéphane Blancs Daten übermittelt. Wenn wir einen Treffer landen, wissen wir das sehr schnell.«
Als Erstes rief LaBréa Ermittlungsrichter Couperin an und informierte ihn über den Stand der Dinge.
»Gute Idee, beim Haager Tribunal nachzufragen«, meinte Couperin.
»Es war Madame Millots Idee«, erklärte LaBréa.
»Wie auch immer.«
LaBréa hörte, wie Couperin sich eine Zigarette anzündete. »Ich habe noch einmal gründlich nachgedacht. Wir sind uns einig, dass die beiden Morde als Racheakte eingestuft werden müssen. Da die beiden Opfer sich kannten und
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