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Todeswald

Todeswald

Titel: Todeswald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ritta Jacobsson
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Nachbargrundstück rüberund sah mir die Kühlerhaube von Samuel Westers Wagen genau an. Das heißt, so genau es ging im Licht der Straßenlaterne, das von hinten auf den Wagen fiel und die Kühlerhaube im Schatten ließ. Ich hätte eine starke Taschenlampe gebraucht, um eine sauber ausgeführte Neulackierung entdecken zu können. Aber hier im Dunkeln konnte ich nicht die Spur eines Schadens erkennen.
    Plötzlich entdeckte ich Mikaelas Mutter. Sie lief rastlos in der Küche hin und her, mit zerzausten Haaren und im Morgenrock. Sie bewegte sich wie ein gestresster Tiger, den ich einmal im Zoo gesehen hatte: stand keine Sekunde lang still.
    Auf einmal begann sie sich immer schneller zu bewegen, bis sie im Kreis herumrannte. Das sah unheimlich aus, aber gleichzeitig begriff ich, was sie tat. Sie rannte sich ihren Zorn und ihre Verzweiflung vom Leib, ihre Verzweiflung darüber, dass sie ihre Tochter verloren hatte.
    Ihre Trauer mit anzusehen, bereitete mir körperliche Schmerzen, ich konnte aber nur machtlos dastehen, bis ich vor Tränen nichts mehr erkannte.
    Schließlich rannte ich wieder ins Haus und warf mich aufs Bett. Wuffs warme Zunge fuhr mir tröstend übers Gesicht.
    Samuel Wester hätte niemals bei Mikaelas Mutter bleiben und so tun können, als ob nichts geschehen wäre, wenn er Mikaela etwas angetan hätte. Das war vollkommen unmöglich!
    Um halb acht ging ich mit Wuff nach draußen und da war Westers Auto nicht mehr da. Im Osten färbte sich der Himmel rötlich. Es war kalt, mehrere Grad unter null. Ich fror an den Beinen und Händen. Wuff missfiel die plötzliche Kälte genauso sehr wie mir. Kaum hatte sie ihr Geschäft erledigt, zerrte sie an der Leine und wollte wieder nach Hause.
    Welch ein Glück, dass Glöckchen nicht in einer Nacht wie dieser draußen gelegen hatte. Und Mikaela auch nicht.
    Der Schultag verlief zäh. Ich dachte an den Nachmittag und überlegte, was ich anziehen sollte und ob ich etwas mitbringen müsste, wenn ich Linus besuchte. Vielleicht eine Art Kuchen?
    Im Kochen bin ich alles andere als ein Ass, aber einen Topfkuchenmüsste ich wohl noch zusammenrühren können, sagte ich mir auf dem Heimweg von der Schule. Das konnte doch nicht so schwierig sein?
    Der harte Klumpen, den ich knapp eine Stunde später aus dem Backofen holte, erinnerte kein bisschen an das farbenfrohe Bild im Kochbuch. Oder an die Topfkuchen, die ich bisher gegessen hatte.
    „Ich hab gedacht, du kommst gleich nach der Schule“, sagte Linus, als ich mit zweistündiger Verspätung bei ihm klingelte.
    „Ich hab gebacken!“
    „Lecker!“
    „Neei-in!“
    „Nein? Was hast du denn gebacken?“
    „Etwas Plattes, Angebranntes und Steinhartes, das jetzt im Abfalleimer liegt.“
    Irgendwo drinnen im Haus winselte und jaulte Glöckchen. Ich hängte meine Jacke auf und schlüpfte schnell aus den Schuhen.
    „Wo ist sie?“
    „In der Küche.“
    Glöckchen lag auf einer Matratze in der hintersten Ecke. Sie war mit einem Strick am Heizkörper angebunden. Als sie Anstalten machte, sich zu erheben, befahl Linus ihr rasch, liegen zu bleiben.
    „Sie darf ihre Hinterläufe nicht benutzen. Wir mussten sie mit einem Badetuch unter der Hüfte stützen.“
    Ich ging zu dem großen schwarzen Hund hin. An ihrem linken Hinterlauf und der Hüfte war das Fell rasiert und wurde von einer langen Narbe verunziert. Aber ihre Laune war nicht beeinträchtigt. Sie klopfte mit dem Schwanz, zuckte am ganzen Körper und winselte vergnügt.
    Ich hockte mich neben sie hin, streichelte sie und bekam eine warme Zunge übers Gesicht.
    „Na, wie geht’s dir, Süße?“
    „Recht gut“, antwortete Linus für sie. „Jetzt kommt es auf sie selbst an. Und auch auf uns. In der Tierklinik haben sie jeden Tag mit ihr Übungen gemacht und in nächster Zeit werden wir immer wieder dorthin fahren, damit sie die Muskeln im Wasser trainieren kann. Aber wir müssen auch hier daheim mit ihr üben.“
    „Leckt sie sich nicht an der Wunde?“
    „Wenn sie allein ist, muss sie einen Plastikkragen tragen.“
    Dann wurde es eine Zeit lang still, während wir bekümmert die Bemühungen des Hundes beobachteten, eine Stellung zu finden, die ihm nicht wehtat.
    „Welch ein Glück, dass du sie gefunden hast“, sagte Linus leise.
    „Das war Wuffs Verdienst.“
    Er nickte wortlos.
    Plötzlich sprang er auf.
    „Oh, entschuldige, möchtest du was trinken? Kaffee, Tee, Saft?“
    „Gern ein bisschen Saft.“
    Während er den Tisch deckte, schickte ich Papa eine

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