Todeswald
ins Telefon. „Vor eurer Einfahrt steht ein verdächtiges Auto mit dem Motor im Leerlauf.“
„Ich weiß“, sagte ich. „Ich bin gerade zwanzig Meter davon entfernt.“
„Mensch, hau bloß ab!“
Im selben Augenblick startete das Auto mit quietschenden Reifen und fuhr direkt auf mich zu.
Ich sah mich schnell um. Links von mir befand sich der halbhohe Zaun von Mikaelas Grundstück. Ich machte einen Riesensatz darüber hinweg und landete im nächsten Moment auf dem schneebedeckten Rasen.
Das Auto rauschte vorüber. Als es an mir vorbeifuhr, streckte der Mann auf dem Beifahrersitz einen Arm durchs offene Seitenfensterund schleuderte etwas heraus. Neben mir landete ein Gegenstand, der an eine Flasche erinnerte.
Jetzt ist’s passiert, konnte ich gerade noch denken.
Ich rollte mich rasch von der Flasche weg und presste die Arme um den Kopf, während ich auf die Explosion wartete.
Aber nichts geschah.
Ich schaute hoch. Im selben Augenblick kam Linus aus seinem Haus gerannt. In T-Shirt und schlappenden Clogs stolperte er zu mir her.
„Was ist passiert?“, keuchte er.
Ich krabbelte auf die Beine, behielt dabei aber die grüne Flasche im Schnee misstrauisch im Auge. Vorsichtig bückte ich mich und stieß sie mit meinem einen Stiefel an.
„Was ist das denn?“, fragte Linus. „Ist das so ein … Cocktail?“
Ich überlegte kurz. Es sah fast so aus. Aber in Wirklichkeit war es nur eine leere Weinflasche. Das Etikett klebte noch dran. Gallo von 2004.
„Das ist eine Warnung“, vermutete ich.
„Scheiße! Jetzt … hören wir auf! Die wissen … wo wir wohnen. Verdammt … die wissen das!“
Er klapperte mit den Zähnen, während er vor sich hin fluchte. Er hatte Angst. Und fror. Seine bloßen Arme waren von Gänsehaut überzogen.
„Wir hören auf!“, wiederholte er, machte kehrt und rannte nach Hause.
Ich warf die Flasche in den Abfalleimer. Mir war genauso mulmig zumute wie Linus. Das hier hätte richtig übel ausgehen können. Die Liga, vor der uns alle gewarnt hatten, hatte irgendwie erfahren, wer ich war und wo ich wohnte.
Ich blieb eine Weile stehen und versuchte mich zu beruhigen. Schließlich war nichts passiert. Es war ja nur eine Flasche. Eine ganz gewöhnliche Flasche. Aber gleichzeitig war es auch eine Nachricht.
Sie würden mich in Ruhe lassen, solange ich mich von ihnen fernhielt.
Ich schauderte.
Aber obwohl ich zitterte vor Angst, kam es mir trotzdem ziemlichseltsam vor. Warum erhielt ich die Warnung ausgerechnet heute? Es war doch über zwei Wochen her, seit wir vor ihrer Garage herumspioniert hatten. Und fast genauso lange her, seit ich die Polizei auf Stormalm aufmerksam gemacht hatte.
Das konnte ich mir nicht erklären. Na, egal was dahintersteckte, jedenfalls taten wir gut daran, Stormalm zu meiden.
Als ich in die Küche kam, saß Mama mit einer aufgeschlagenen Zeitung am Tisch und schenkte sich gerade einen Becher Kaffee ein. Auf dem Tisch lag ein angebissenes Schinkenbrot, das Wuff wieder mal zu hypnotisieren versuchte.
„In der Zeitung steht wieder etwas über sie“, sagte Mama.
Sie brauchte nicht zu erklären, wen sie meinte.
„Hat die Polizei den Mörder gefunden?“
„Nein. Sie bitten um Hinweise. Mikaela hatte offenbar irgendeine Tasche dabei, nach der suchen sie jetzt.“
Ich zuckte zusammen.
Die rote Reisetasche.
Aber Linus’ Vater hatte der Polizei doch bereits mitgeteilt, dass die Tasche hinter Hedvigs Haus stand! Dann war das trotz allem nicht Mikaelas Tasche gewesen. Oder hatte die Polizei sie gar nicht abgeholt?
Als ich erst einmal angefangen hatte, daran herumzudenken, spürte ich, dass ich wenigstens überprüfen musste, ob die Tasche noch da stand. Außerdem hatte ich ja immer noch Hedvigs Fahrrad.
Ich rief Linus an und versuchte ihn dazu zu bewegen, mich zu Hedvig zu begleiten, aber er weigerte sich glatt.
„Du spinnst ja total!“, sagte er nur. „Wir haben eine Warnung bekommen. Nächstes Mal werfen sie eine brennende Flasche direkt auf dich drauf!“
„Aber wir wollen doch bloß zu Hedvig.“
„Ich komme trotzdem nicht mit.“
„Okay, dann lass es eben bleiben! Nur noch eins, hat dein Vater wegen dieser roten Tasche, die hinter Hedvigs Haus stand, die Polizei angerufen?“
„Er hat es behauptet. Warum?“
„In der Zeitung stand, dass die Polizei immer noch nach Mikaelas Tasche sucht.“
„Dann war es wohl nicht die richtige.“
Mir war nicht unbedingt leicht ums Herz, als ich das Fahrrad auf Hedvigs Haus zuschob, während
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