Todeswald
auf Hochtouren lief.
Ich müsste die Polizei anrufen. Hedvig schwebte vielleicht in Lebensgefahr!
Andererseits konnte ich mir kaum vorstellen, dass irgendjemand außer der Polizei die Tasche geholt hatte. Und in dem Fall hatten sie bestimmt auch mit Hedvig darüber gesprochen, selbst wenn sie es leugnete.
Wer sonst könnte die Tasche geholt haben?
Ich ging langsam nach Hause und zerbrach mir über Hedvigs Äußerungen den Kopf. Bestimmt hatte ich mich geirrt, als ich annahm, die gestohlenen Luxusautos hätten etwas mit Mikaelas Tod zu tun. Ein Autodieb, der Mikaela umgebracht hatte, würde es kaum riskieren, in einem gestohlenen Auto an den Tatort zurückzukommen.
Das heißt, wenn er nicht in einem anderen Auto gekommen war. Vielleicht sogar in seinem eigenen?
Ein Mann in einem hellen Kombi. In einem Volvo?
Der Mörder?
KAPITEL 44
Ich hatte die ganze Nacht Albträume und fühlte mich am nächsten Morgen wie gerädert. Ich hatte keine Ahnung, wie ich nach dem Besuch bei Hedvig weitermachen sollte, und ging tief in Gedanken versunken zur Schule.
Neben den Ampeln standen die Schülerlotsen in ihren orangefarbenen Umhängen jeweils zu zweit an beiden Seiten der stark befahrenen Straße, genau wie Mikaela und ich, als wir in der Sechsten waren. Bei Wind und Wetter hatten wir dort gestanden, bei Sonnenschein und Schneetreiben, und hatten auf die Stopptaste gedrückt, sobald ein Schüler sich dem Übergang näherte.
Während ich auf Grün wartete, dachte ich an Mikaela. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich nicht auf Hannamarias Party gehen konnte.
„Was ist? Willst du rüber oder nicht?“, erkundigte sich eine brüchige Jungenstimme.
Ich überquerte die Straße.
In der großen Pause lief Hannamaria auf dem Schulhof umher und kassierte ihr Geld. Es war ganz offensichtlich, wer zu ihrer Party kommen durfte. Und wer nicht.
Zum Schluss kam sie auch zu mir. Leider nicht allein. Sowohl Ebba als auch Faduma klebte ihr an den Fersen. Wie üblich.
„Hast du das Geld?“
„Ich …“
Ich nahm meinen Mut zusammen.
„… komme nicht.“
„ Weil es deine Mami nicht erlaubt, was?“ , fragte Ebba mit hohntriefendem Tonfall.
„Doch, aber ich bringe es nicht fertig, so kurz nach Mikaelas Beerdigung zu feiern.“
Hannamarias Augen verengten sich zu schwarzen Strichen.
„Du hältst dich wohl für was Besonderes!“, fauchte sie. „Brauchst dir gar nicht erst einzubilden, dass sie dich gut leiden konnte. Sie fand dich bloß peinlich.“
Damit drehte sie sich um und ging. Ich dachte, das hatte sie nur gesagt, um mich zu verletzen. Leider war ihr das auch gelungen.
Sie war zu Linus und seinen Klassenkameraden unterwegs, als Jo zu mir herkam. Sie wenigstens würde sich freuen.
„Und am Samstag wirst du also tüchtig feiern“, sagte sie spöttisch.
Plötzlich hatte ich keine Lust, die Wahrheit zu sagen.
„Ist doch egal.“
Es wurde still. Unerträglich still. Ich wartete sehnsüchtig darauf, dass es läutete.
Auch in der nächsten Pause standen Jo und ich nebeneinander und schwiegen uns an. Sie war sauer auf mich. Und ich auf sie.
„Und, was ziehst du am Samstag an?“, fragte Jo später am Nachmittag. „Doch nicht deine ewigen Jeans, oder?“
Sie lächelte unsicher.
„Doch“, sagte ich. „Bist du den ganzen Abend unterwegs?“
„Das Turnier ist irgendwann gegen fünf zu Ende. „Warum?“
„Ich hatte vor, bei dir vorbeizukommen.“
Sie zuckte zusammen und sah mich mit ihrem warmen Blick an.
„Soll ich dich schminken, oder was?“
„Ich geh nicht auf die Party.“
„ Darfst du etwa nicht?“
„Nein.“
„Warum? Was hat deine Mutter gesagt?“
„Gar nichts. Mein Gewissen hat es mir verboten.“
Jo nickte sachte.
„Am Samstag steigt bei mir eine echt fette Zweimannparty“, sagte sie mit breitem Grinsen.
KAPITEL 45
Es schneite den ganzen Mittwoch und auch die folgende Nacht. Am Donnerstag herrschte ein einziges Verkehrschaos. Wir blieben in den Pausen im Schulgebäude. Der Hof lag unter einer dicken Decke aus Schnee. Überall war das Dröhnen der Schneepflüge zu hören, aber die großen Straßen wurden zuerst gepflügt.
Nach der Mittagspause, während Ulf Bergman seine Matheformeln herunterbetete, begann es wieder zu schneien, anfangs mit großen, schönen Flocken, die Micke mit einem gesummten Weihnachtslied begrüßte. Bald darauf kam Wind auf und ließ die Flocken aufstieben und herumwirbeln. Die Fußgänger auf der Straße kämpften sich mit gesenkten Köpfen,
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