Todeswatt
wirkliches Gespräch oder eine ausführliche Erklärung wegen seines Verhaltens war nicht möglich. Sofern er gegenüber seiner Mutter auf den Vater zu sprechen kam, blockte sie alles ab. Es war, wie es war, und da konnte man laut Magda Thamsens Ansicht auch nichts dran ändern. Aber wie war es denn eigentlich? Wieso verhielt sich sein Vater ihm gegenüber immer so abweisend? Nach dem gestrigen Vorfall wollte er die Dinge nicht länger auf sich beruhen lassen. »Was hat Papa eigentlich gegen mich?«
*
Inken Matthiesen goss sich gerade eine weitere Tasse Kaffee ein, als die Kinder in die Küche stürmten. Den Schulranzen noch auf den Rücken geschnallt, ihre Wangen vom Rennen gerötet.
»Was gibt’s heute zu essen?« Sie versuchten, einen Blick auf den Herd zu erhaschen.
Aber Inken Matthiesen hatte heute wirklich keinen Kopf zum Kochen gehabt. Sie hatte die letzten beiden Nächte kein Auge zugetan und der Schlafmangel zerrte an ihren Nerven. Sönke war seit ihrem Gespräch am Samstag, das so überraschend durch diesen aufdringlichen Unternehmensberater unterbrochen worden war, nicht mehr nach Hause gekommen. Gemeldet hatte er sich auch nicht. Sie machte sich nicht nur Sorgen, sondern hatte fürchterliche Angst. Angst davor, ihr Mann könne etwas mit dem Tod Arne Lorenzens zu tun haben. Warum hatte er sich mit dem Banker getroffen? Der Berater war doch gar nicht für sie zuständig. Kreditkunden wurden von Frau Neubert betreut. Gab es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und ihrer finanziellen Situation? Auf den Kontoauszügen, die sie im Sekretär im Wohnzimmer gefunden hatte, war nichts zu erkennen, aber es fehlten etliche. Das jedenfalls hatte sie der laufenden Nummerierung der Umsatzblätter entnehmen können.
Sie holte Butter und Aufschnitt aus dem Kühlschrank. »Ich hatte keine Zeit zum Kochen. Heute Mittag gibt es Brot.«
Die Kinder verzogen ihre Gesichter. »Brot?«
»Ja, Brot«, erwiderte sie energisch und deckte den Tisch. »Wascht euch die Hände.«
Die beiden spürten, dass jeglicher Widerspruch sinnlos war und trotteten mit hängenden Schultern aus der Küche.
Inken Matthiesen ließ sich seufzend am Küchentisch nieder. Wieder kreisten ihre Gedanken um die Frage, wo ihr Mann steckte und warum er sich nicht meldete.
Die Kinder hatten sich gerade kommentarlos jeweils eine Scheibe des leicht trockenen Brotes genommen, als plötzlich die Küchentür geöffnet wurde und Sönke Matthiesen den Raum betrat. Er war unrasiert und aschfahl im Gesicht. Tiefe dunkle Ränder lagen unter seinen Augen, die Haare standen ihm wirr vom Kopf ab.
Seine Familie starrte ihn stumm an. Er räusperte sich.
»Kann ich vielleicht auch ein Brot haben?«
Inken Matthiesen stand auf und holte aus dem Küchenschrank ein weiteres Brettchen und Besteck. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, sie spürte eine unbändige Hitze in ihrem Körper aufsteigen und hässliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Doch vor den Kindern wollte sie ihm keine Szene machen.
Mit zusammengekniffenen Lippen deckte sie seinen Platz und setzte sich anschließend zurück an den Tisch.
Sönke Matthiesen stand zunächst unschlüssig in der Küche, ließ sich dann aber langsam auf der Eckbank nieder.
»Wo warst du denn, Papa?«
Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Seine Hand begann leicht zu zittern, er spürte, wie es feucht unter seinen Armen wurde.
»Ich hatte etwas zu erledigen.«
»Und was?« Seine Tochter ließ nicht locker.
»Lasst Papa erst einmal essen«, schaltete Inken Matthiesen sich unvermittelt ein. »Wenn ihr fertig seid, geht und macht eure Hausaufgaben.«
Die Kinder bewegten sich nicht vom Fleck. Ungeduldig sahen sie zwischen ihren Eltern hin und her. Die Spannung, die in der Luft lag, war beinahe greifbar und es schien nur eine Frage der Zeit, wann sie sich entladen würde. Die schlechte Stimmung, die zu Hause herrschte, hatten sie bereits seit Längerem wahrgenommen. Es blieb ihnen nicht verborgen, wenn ihr Vater nicht nach Hause kam und ihre Mutter sich im Badezimmer einschloss, um erst nach Stunden mit rot verquollenen Augen wieder herauszukommen.
»Ihr geht jetzt in eure Zimmer!« Inken Matthiesens Nerven lagen blank. Die letzten Tage waren einfach zu viel für sie gewesen. Die Fassade bröckelte. Lange würde sie diesem Druck nicht mehr standhalten können. Sie wollte endlich mit Sönke reden, wollte wissen, wo er gewesen war und was es mit diesem Eintrag in seinem Kalender auf sich hatte.
Die Kinder wirkten wie
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