Todeswatt
Nun muss sich jemand finden, der diese Aktie zu diesem Preis verkaufen will. Findet sich ein Verkäufer und wird das Geschäft zu diesem Betrag abgeschlossen, hat man einen Kurs.«
»Ach, das sind also die Werte, die man immer in der Zeitung oder auch im Fernsehen auf n-tv vorbeilaufen sieht, oder?« Haie konnte zum ersten Mal die Zahlen aus dem Fernsehen mit den Wertpapieren richtig in Verbindung bringen.
»Genau, und der letzte Aktienkurs zeigt an, wie viel das Papier wert ist.«
»Und warum steigen und fallen die Kurse? Woran liegt denn das?«
»Aktien sind ja letztendlich nichts anderes als Teilhaberpapiere an dem jeweiligen Unternehmen.« Tom versuchte, dem Freund zu verdeutlichen, worum es sich bei den verbrieften Anteilen überhaupt handelte. Der Kursverlauf hinge infolgedessen langfristig auch davon ab, wie gut oder schlecht sich das Unternehmen entwickelte.
»Und da die Internetfirmen nun pleite sind, ist das Geld, das die Anleger in diese Aktien gesteckt haben, quasi weg«, schlussfolgerte Haie, dem die Zusammenhänge nun verständlicher erschienen. Tom hatte bereits bei ihrem letzten Gespräch über die Situation auf dem Wertpapiermarkt die Probleme dieser Firmen erwähnt.
»Ja, aber der Kurs wird ebenso von Angebot und Nachfrage bestimmt.« Hinzu käme der ausgeprägte Herdentrieb der Anleger, welcher den jeweiligen Effekt noch verstärke. Die Psychologie sei wahrscheinlich der weitaus wichtigste Faktor, denn er könne die Märkte in ungeahnte Höhen und Tiefen führen, die fundamental nicht gerechtfertigt seien.
»So wie jetzt?«
Tom nickte. »Und wie die Monate zuvor, als die Kurse aufgrund der Gier nach schnellem Geld von den Leuten in die Höhe getrieben wurden. Immer, wenn die Börsen in Extremsituationen fallen, egal ob nach oben oder unten, springen immer mehr Anleger bei steigenden Kursen auf den Zug auf oder bei fallenden Kursen runter. Wenn man die Entwicklung der Finanzmärkte lange genug verfolgt, wird man immer wieder die gleichen Muster feststellen, ganz gleich, ob es die Tulpenzwiebeln im 16. Jahrhundert waren, die South Sea Bubble, die Krisen von 1929, 1987, 1989, 1998 oder die jetzige. Gier und Angst sind wahrscheinlich die Faktoren mit dem größten Einfluss auf die Börsenkurse.«
»Und wahrscheinlich auch das Motiv des Mörders von Arne Lorenzen.«
*
An diesem Vormittag war eine Lagebesprechung mit den Beamten der Kripo angesetzt. Sie hatten ihre Arbeiten auf Pellworm soweit abgeschlossen und die restlichen Aufgaben den Kollegen vor Ort überlassen. Nun wollten sich die Flensburger Kollegen einen Überblick über die Ermittlungsergebnisse aus dem Umfeld des Opfers verschaffen.
Thamsens Kopf dröhnte und daran änderte auch die vierte Tasse Kaffee nichts, die er, seit er auf dem Revier angekommen war, in sich hineinschüttete. Nachdem der Streit zwischen ihm und seinem Vater gestern derart eskaliert war, hatte er kurzerhand die Kinder geschnappt und war nach Hause gefahren, um Schlimmeres zu vermeiden. Er hatte sich einfach nicht mehr im Griff gehabt, was ihm heute leidtat, ganz besonders wegen seiner Mutter.
Natürlich waren die Kinder enttäuscht gewesen. Enttäuscht und erschrocken. Zu Hause hatten sie sich wortlos in ihre Zimmer zurückgezogen und waren nicht einmal zum Gute-Nacht-Sagen herausgekommen. Er hatte in der Küche eine Flasche Wein geöffnet und allein auf das Wohl seiner Mutter angestoßen. Leider war es nicht bei der einen Flasche geblieben und am Morgen, als er aufgewacht war, hatte es in seinem Kopf gehämmert, als ob ein Bautrupp auf einer Großbaustelle bei der Arbeit sei.
Aber da musste er nun durch. Nur ein paar Stunden, hatte er gedacht und darauf gehofft, heute den Fall an die Kollegen übergeben zu können. Aber da irrte er sich gewaltig. Als er den Besprechungsraum betrat, diskutierten die beiden Beamten aus Flensburg gerade heftig mit seinem Vorgesetzten. Die Kripo wollte die Ermittlungen zwar offiziell leiten, aber die Feldarbeit musste die Niebüller Polizei übernehmen.
»Du hast ja bereits mit den Ermittlungen angefangen. Berichte bitte, was du bisher herausfinden konntest«, forderte ihn der Kriminaler auf. Thamsen stöhnte innerlich. Seine Kopfschmerzen machten es ihm unmöglich, sich zu konzentrieren. Daher begann er nicht in der Reihenfolge seiner bisherigen Nachforschungen, sondern berichtete von der Nebentätigkeit des Opfers. Eventuell stammte der Täter aus dem Kreis der Geschädigten. »Es käme aber vielleicht auch einer
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