Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me
diskutierten, ob der Geschworenenprozess ein veraltetes Rechtsmittel sei, bei dem man Unwissende auffordern würde, das Unbegreifliche zu verstehen und über das Unergründbare zu entscheiden.
Ich weiß nicht, was richtig ist, doch sollte mein Leben je vor Gericht verhandelt werden, würde ich mein Schicksal lieber in die Hand von zwölf Menschen legen, die nicht clever genug waren, sich ihrer Geschworenenpflicht zu entziehen, als in die eines Richters, der womöglich seine eigenen Ziele verfolgt. Geschworene können kolossal ignorant und von der Sophisterei der Juristen leicht zu verwirren sein, aber ich setze lieber auf ganz gewöhnliche Männer und Frauen, weil die den Unterscheid zwischen Rechtssystem und Gerechtigkeit kennen.
Hin und wieder begegne ich im Dorf Helen Hegarty, aber sie bleibt nach wie vor für sich und lächelt nur selten. Sie arbeitet keine Nachtschichten mehr, und Zoe hat ihr Studium für ein Jahr unterbrochen und ist nach Hause gezogen. Sienna geht jetzt auf eine Schule in Bath, aber sie und Charlie treffen sich immer noch, die eine bemüht, ihre Kindheit zurückzuerobern, die andere erpicht, ihrer zu entwachsen.
Früher wollte ich Charlie daran hindern, größer zu werden. Ich wollte das Mädchen festhalten, das mit mir Herr der Ringe geguckt hat, ihre Pizza mit einer Extraportion Salami mochte und sich darüber lustig machte, dass Julianne keinen Ball fangen konnte. Jetzt sehe ich die Sache realistischer. Ich kann nicht alles zwanghaft darauf abstellen, meine Kinder vor Menschen wie Gideon Tyler, Gordon Ellis und Liam Baker zu beschützen; oder vor miesen Freunden, ignoranten Vorgesetzten, grausamen Bemerkungen, betrunkenen Verrückten und intoleranten Fanatikern.
Als Vater oder Mutter ist man wie ein Trapezkünstler, der wissen muss, wann er loslässt und zusieht, wie sein Kind durch die Luft wirbelt, nach der nächsten Sprosse greift und sich ausprobiert. Mein Job ist es, da zu sein, wenn meine Tochter zurückschwingt, bereit, sie aufzufangen und wieder in die Welt hinauszuwerfen.
In letzter Zeit bin ich optimistischer, dass Charlie zurechtkommen wird. Sie wird die Pubertät und eine Scheidung überstehen (wenn es dazu kommt), und ich werde dabei sein, wenn sie ihr Examen macht, den Nobelpreis erhält, sich verliebt, heiratet und rundum glücklich wird.
Wenn ich morgens wach liege, eine Inventur meiner Ticks und Zuckungen mache und darauf warte, dass die Wirkung der Medikamente einsetzt, denke ich manchmal an all die Dinge, die ich noch nicht getan habe. Ich habe nicht mit einem Filmstar geschlafen, nicht den Kilimandscharo bestiegen und über mein Schulfranzösisch hinaus auch keine Fremdsprache gelernt. Ich habe kein Buch geschrieben, an keinem Marathonlauf teilgenommen und bin nicht mit Delfinen geschwommen.
Mr. Parkinson wird mich nicht von heute auf morgen umbringen, aber ich werde daran sterben, wenn nicht rechtzeitig ein Heilmittel dagegen gefunden wird. Manche Menschen glauben, solche Neuigkeiten würden die Haltung zum Leben
verändern. Sie träumen von Selbstverwandlungen, Bergbesteigungen, Fallschirmabsprüngen.
Ich nicht. Man wird mich nicht dabei ertappen, wie ich auf der Flucht vor den Stieren in Pamplona zum Sprint ansetze oder nach der Quelle des Amazonas suche. Ein profanes Ende ist mir allemal lieber als ein heldenhaft mutiges oder dummes.
Bis dahin werde ich durch mein mittleres Alter zucken und zappeln. Nicht, dass ich den Schmerz des Verlustes nicht spüren würde. Wenn ich Videos von mir selber vor fünf Jahren sehe, fit und aufrecht – Bilder eines jüngeren, gesünderen Ichs –, werde ich wütend. Meine Kraft, meine Balance und Beweglichkeit sind eingeschränkt. Ich bin nur noch halb der Mann, der ich früher einmal war, auf der Suche nach der anderen Hälfte. Vielleicht ziehe ich zurück nach London. Vielleicht lerne ich tanzen. Vielleicht werde ich der Typ, der zu sein ich mir erträume, die Leine des Lebens fest in der Hand, wie ich es mir vorgenommen habe.
An manchen Abenden sitze ich immer noch vor meinem alten Haus und wache über meine Familie, sehe ihre Schatten hinter den Vorhängen – es ist die beste Vorstellung in der Stadt, und ich habe nach wie vor einen ziemlich guten Platz.
Ich habe entschieden, dass Kinder großzuziehen viel trauriger ist, als ich gedacht hatte. Sie munter und lebhaft aufwachsen zu sehen ist von dem Wissen getrübt, dass jedes Jahr eine neue Runde von letzten Malen bringt. Das letzte Mal, dass ich meine Tochter auf
Weitere Kostenlose Bücher