Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
zurück.
Blieb noch der Raum am Ende des Ganges. Jennifer schloss für einen kurzen Moment die Augen. Sie wollte nicht wissen, was sie dort erwartete. Dieser Bunker war der Tatort, Lauers Refugium, sein Atelier … sein Zuhause.
Jennifer steuerte auf die letzte Tür zu und lauschte noch einmal. Kein Geräusch. Inzwischen war sie davon überzeugt, dass Lauer nicht hier war, ging jedoch trotzdem nach Vorschrift und mit äußerster Vorsicht vor.
Hinter der Tür erstreckte sich ein großer Raum, der in zwei Bereiche unterteilt war.
Die eine Seite war dem Wirken des Mannes gewidmet, den sie den »Künstler« nannten.
Jennifer hatte eine Art Schlachthaus erwartet, blickte nun jedoch in einen sauberen Betonraum, in dessen Mitte sich eine mit Fesselmöglichkeiten versehene Liege befand, die beliebig verstellbar war. Auf einer Kommode dahinter lagen auf chirurgischen Tabletts eine Vielzahl von Werkzeugen und Tüchern bereit. Ebenso standen dort Flaschen herum, deren Etiketten sie von ihrem Standort aus kaum entziffern konnte. Bleiche war jedoch auch darunter.
Die andere Seite wirkte wie eine Mischung aus Atelier und Büro.
Auf Staffeleien waren dreizehn großformatige Gemälde ausgestellt, von denen Jennifer zwei bereits kannte. Vier weitere waren ihr als in den Rücken von Opfern geschnittene Skizzen begegnet, die anderen hatte sie noch nie gesehen. Doch der Stil der Bilder war der Gleiche. Es waren die Werke von Klaus Lauer, dem Vater des »Künstlers«.
In der Mitte zwischen den Bildern lag eine Matratze auf dem Boden. Die Bettwäsche sah weitaus benutzter aus als die auf dem Bett im Schlafzimmer. Es war offensichtlich, dass Melchior Lauer hier öfter schlief als in dem dafür vorgesehenen Raum drei Meter über ihren Köpfen.
Jennifer ging vorsichtig zwischen den Gemälden hindurch. Eigentlich wollte sie sich jedes einzelne genau ansehen, doch ihr Blick wurde abgelenkt. An der hinteren Wand stand ein Schreibtisch mit einem ausgeschalteten Computer. An einer Pinnwand neben dem Bildschirm hingen unscharfe Fotos – vermutlich mit einer Handykamera gemacht – und Zettel mit Notizen sowie eine Todesanzeige.
Ihr Herz setzte aus, als sie die junge Frau auf den Fotos erkannte und ihr bewusst wurde, welchem Zweck diese Pinnwand diente.
»Oh, mein Gott … «
Jennifer zog ihr Handy aus der Tasche und schaltete es wieder ein. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Software geladen war und sie die PIN eingeben konnte. Ihre Hände zitterten leicht, als sie die Nummer im Telefonbuch ihres Handys suchte.
Grohmann tauchte neben ihr auf und warf ihr einen fragenden Blick zu. Dann streifte sein Blick die Pinnwand. »Scheiße!«, fluchte er. »Das ist Charlotte Seydel!«
Jennifer nickte nur und hielt sich das Telefon ans Ohr. Doch es kam nur die Ansage, dass der Teilnehmer zurzeit nicht zu erreichen sei. Sie unterbrach die Verbindung. »Sie hat mich vorhin noch angerufen … «
Ihr war plötzlich übel. Wieso hatte Charlotte sie angerufen? War Melchior Lauer etwa bereits hinter ihr her?
Jennifer wählte die Nummer ihrer Mailbox und schaltete den Lautsprecher ein. Während der mechanischen Ansage trippelte sie unruhig hin und her. Eine Nachricht war hinterlassen worden.
Als sie Charlottes Stimme hörte, fiel ihr ein kleiner Stein vom Herzen, doch sie blieb weiterhin angespannt.
»Hier spricht Charlotte Seydel. Ich bin gerade in Herzheim und auf dem Rückweg. Ich habe etwas Wichtiges über meine Mutter herausgefunden und vielleicht sogar über den Mörder. Überprüfen Sie unbedingt den Namen … «
Sie hörten irgendwelchen Lärm, dann einen überraschten Schmerzenslaut, ein dumpfes Poltern. Die Hintergrundgeräusche wurden leiser, hielten jedoch noch über eine Minute lang an. Dann knallten Autotüren, Rascheln, ein Knacken. Dann nichts mehr. Die Verbindung war unterbrochen worden.
Eiseskälte machte sich in Jennifers Magengegend breit, als sie zu Grohmann aufschaute. »Herzheim ist der Geburtsort von Melchior Lauer«, flüsterte sie heiser. »Er hat sie, Grohmann … Er hat sie.«
21
Das trübe Dunkel der Bewusstlosigkeit hellte sich nur langsam auf. Charlotte hatte den Eindruck, dass sie in einer gelartigen Flüssigkeit schwebte und behäbig zur Oberfläche trieb.
Die Taubheit wich ganz allmählich aus ihren Gliedern, und ihr Verstand erwachte Stück für Stück.
Sie spürte Kälte und Fesseln um ihre Fuß- und Handgelenke, die sie in einer liegenden Position auf einer harten Unterlage festhielten. Sie war
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