Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
daran, dass er es gewesen war. Sicher verbarg er sich auch hinter der dunklen Gestalt, die sie in jener Nacht an der Bushaltestelle angerempelt und zu Boden geschickt hatte.
Dieser Wichser hatte sie schon tagelang verfolgt!
Charlotte schluckte die Galle hinunter, die ihr in die Kehle gestiegen war. Es gab so vieles, was sie diesem Scheißkerl gerne entgegengeschleudert hätte. Verwünschungen, Flüche, Fragen. Doch kein Laut kam über ihre Lippen.
Sein Mund verzog sich. Zuerst glaubte sie, er wollte etwas sagen, doch er lächelte nur. Ein berechnendes und äußerst kaltes Lächeln.
Sie spürte, wie die Wut aus ihrem Bauch in ihre Brust hinaufkroch. Bevor sie sich vergessen konnte, wandte sie demonstrativ den Blick ab.
Sein Lachen, das ganz und gar gewöhnlich klang, so wie man es viele Male am Tag von den unterschiedlichsten Menschen hörte, hallte durch den Raum. Schritte erklangen, dann tauchte er neben ihr auf, versuchte jedoch gar nicht erst, ihren Blick einzufangen.
Sein Gesicht verzog sich zu einer verächtlichen Maske. »Dreck bringt Dreck hervor«, sagte er plötzlich in die Stille hinein. »Du bist der Beweis dafür, dass Dreck selbst die besten Erbanlagen überdecken und verdrängen kann.«
Charlotte biss die Zähne so fest aufeinander, dass ihre Kiefer schmerzten.
Er legte den Kopf schräg und sah sie so an, wie man Affen in einem Käfig im Zoo beobachtete. »Willst du denn gar nichts sagen?« Zwei Sekunden verstrichen, doch er erhielt keine Antwort. »Kein ›Hallo, Daddy.‹ Kein Versuch, an meine Gefühle zu appellieren? Nichts?«
Sie drehte den Kopf weg und starrte auf die löchrigen Gardinen.
»Tapferes kleines Mädchen.« Er lachte erneut. »Du versuchst, deine Angst zu verbergen und deine Beherrschung zu wahren. Wie deine Mutter. Du denkst, wenn du nur lange genug die Unbeteiligte spielst und mir dein Leid nicht zeigst, verliere ich das Interesse an dir. Oder du bist dir über deine Lage vollständig im Klaren und weißt, dass Betteln keinen Sinn hat. Wie deine Mutter.«
Er leckte sich über die Lippen. Sein Blick wich kein einziges Mal von ihrem Gesicht. »Du erinnerst mich sehr an sie. Deine Augen, dein Körper … der Duft. Dieselbe sinnlose Rebellion … Sie muss wohl gehofft haben, dass ich nie von dir erfahren würde. Und du nie von mir … «
Er lächelte. Seine Augen glitten nach unten und schienen über jeden entblößten Zentimeter ihres Körpers zu wandern. »Schade, dass ich zu spät von deiner Existenz erfahren habe, um Lena an unserem kleinen Spiel teilhaben zu lassen, doch das wäre wohl zu viel des Guten gewesen. Ihr beide hier, an dem Ort, an dem alles begann … «
Charlotte war sich nicht bewusst, irgendeine Reaktion gezeigt zu haben, doch es musste wohl so sein, denn er stieß ein leises Seufzen aus. »Du verstehst natürlich nicht. Sie hat es dir ja nie erzählt. Ich selbst musste dir erst die Augen öffnen, dich auf die richtige Fährte bringen. Es war so einfach … Ich hätte nicht gedacht, dass der Zeitungsartikel genügen würde, um dich zu Nachforschungen anzuregen. Damit du weißt, mit wem du es zu tun hast … und damit du hierher findest.«
Er ließ seinen Blick theatralisch durch den Raum schweifen. »Hier in dieser Hütte sollte deine Mutter einstmals sterben. Doch sie entzog sich ihrem Schicksal und ließ mich einfach zurück. Eine andere musste ihretwegen sterben. Wegen ihr verbrachte ich so viele Jahre eingesperrt, vom Leben abgeschnitten.«
Erneut erschien ein verzerrtes Lächeln auf seinem Gesicht. »Ich konnte die Zeit nutzen, mein Wirken zu überdenken, nur anders, als sich die Psychiater das wohl vorgestellt hatten. So viel Zeit zum Planen … Dann kam der Tag der Freiheit, und ich konnte endlich damit beginnen, das perfekte Werk zu schaffen. Ein Werk, dessen Auftakt meine geliebte Lena sein sollte.«
Leise Wut schlich sich in seine Stimme, obwohl er ansonsten vollkommen beherrscht blieb. »Ich hatte mir solche Mühe gegeben, ich hatte alles vorbereitet und geplant, alles war perfekt! Nur dass deine Mutter sich einfach nicht aufspüren lassen wollte! Da sollte ihr eine besondere Ehre zuteilwerden, ihretwegen war ich sogar bereit, Abstriche hinzunehmen. Sie konnte ich schließlich nicht der Öffentlichkeit preisgeben, ohne mich selbst zu gefährden … Und sie verbarg sich einfach vor mir!« Er schüttelte den Kopf. »Von Anfang an musste sie mir Ärger machen. Und als ich sie dann endlich hatte, als ich sie endlich ihrem Schicksal übergeben
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