Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
einen gemütlichen Abend mit Kai zu verbringen!
Jennifer brauchte mehrere Minuten, um sich zu beruhigen. Sie lauschte auf die Geräusche aus der Küche, in der sicheren Erwartung, alsbald Schritte im Flur und dann die Wohnungstür zu hören. Stattdessen wurde die Kühlschranktür geöffnet, zweimal der Klang eines Flaschenöffners und charakteristisches Zischen.
Kai betrat das Wohnzimmer mit zwei Bierflaschen in der Hand. Wortlos hielt er ihr eine hin. Sie schaffte es, ihm kurz in die Augen zu sehen, dann griff sie nach der Flasche und nahm einen kleinen Schluck.
Noch immer schweigend, ließ sich Kai neben ihr auf die Couch fallen, schaltete den Fernseher ein und stellte den Ton aus, bevor er durch die Kanäle zu zappen begann. Seine Aufforderung an sie, endlich ihr Telefonat zu erledigen.
Ihre Mutter nahm nach dem vierten Klingeln ab. »So früh hatte ich mit deinem Anruf gar nicht gerechnet.«
Der bissige Unterton war alles andere als einladend. »Ich habe dich auch lieb, Ma.«
Eine männliche Stimme im Hintergrund sagte etwas. Annabelle Leitner seufzte hörbar. »Ich soll dir von deinem Vater Grüße bestellen. Außerdem hat er mich daran erinnert, dass ich dir keine Vorwürfe machen wollte.«
»Ich kann mit Vorwürfen umgehen.« Jennifer stand kurz davor, einzuräumen, dass sie ihre Mutter hatte hängen lassen, doch sie tat es nicht. Das war genau das, was sie hören wollte, und ein Eingeständnis hätte sie nur neuerlich dazu ermuntert, sich über die Unzuverlässigkeit ihrer Tochter zu beklagen.
»Du musst mich auch verstehen«, sagte ihre Mutter am anderen Ende der Leitung. »Es ist wirklich so gut wie unmöglich, dich zu erreichen. Wenn einem von uns einmal ernsthaft etwas passieren sollte, würdest du es wahrscheinlich erst Tage, wenn nicht Wochen später erfahren.«
Das war eine ihrer typischen Übertreibungen. Jennifer hätte sie gerne daran erinnert, wie sie ihr vor drei Jahren auf der Mailbox die Nachricht hinterlassen hatte, dass ihr Vater einen Herzinfarkt erlitten habe und sterben könnte. Jennifer hatte alles stehen und liegen lassen und war nach Heidelberg gefahren. Tatsächlich hatten die Ärzte lediglich geäußert, es bestehe der Verdacht auf einen leichten Infarkt – der sich bis zu Jennifers Eintreffen noch dazu als Verdauungsstörung entpuppt hatte. Doch sie ließ diese Episode ruhen.
»Du sagtest, ihr hättet Probleme mit Bastian?« Dass ihre Eltern Schwierigkeiten mit ihrem jüngsten Bruder hatten, war keine Neuigkeit. Die Frage hätte eigentlich lauten müssen, welche neuen Probleme es gab.
Annabelle Leitner stöhnte auf. »Ach, seine Noten werden einfach nicht besser, er schwänzt die Schule, geht nicht zum Nachhilfeunterricht und hängt mit den falschen Typen rum.«
»Das ist nichts wirklich Neues, Ma.« Bastian war noch jung, gerade mal fünfzehn, und das ungeplante Nesthäkchen der Familie. Eigentlich machte er Ärger, seit er in die Pubertät gekommen war, und ihre Eltern waren genauso lange mit ihm überfordert.
»Neu ist allerdings, dass er raucht! Ausgerechnet!«
Kein Grund, sich so aufzuregen, fand Jennifer. »Reden wir über Zigaretten oder Joints?«
»Was?!« Ihre Mutter schwieg einen Moment lang geschockt. »Zigaretten«, sagte sie dann schließlich. Jennifers Frage hatte ihre Wirkung offenbar nicht verfehlt. Ihre Mutter hatte erkannt, dass es weitaus Schlimmeres gab als ein paar Glimmstängel.
»Das gibt sich wieder«, erwiderte Jennifer. »Und wenn nicht, kannst du auch nichts daran ändern.«
»Ich nicht, nein.«
Jennifer verzog das Gesicht und murmelte stumm einen Fluch. Eine derartige Vorlage hatte sie ihrer Mutter eigentlich nicht liefern wollen.
»Aber ich habe noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, dass du bei ihm etwas erreichen kannst.«
Jennifer stöhnte auf. Ihr war vollkommen schleierhaft, warum sich ihre Mutter auf die Idee versteift hatte, dass sie ihren Eltern bei den Schwierigkeiten mit Bastian helfen konnte. »Ma, das haben wir doch schon oft genug durchgekaut … «
»Du hast es ja noch nicht einmal versucht!« Annabelle Leitner war anzuhören, dass sie sich Mühe gab, nicht allzu verärgert zu klingen. »Ist es denn zu viel verlangt, dass du uns endlich mal wieder besuchen kommst, und zwar nicht nur für ein paar Stunden, und dich ein wenig mit deinem Bruder unterhältst?«
»Ich glaube nicht, dass er sich unbedingt mit mir unterhalten will. Ich bin zu alt … «
Ihre Mutter ließ sie nicht ausreden. »Was denkst du, was wir in
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