Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
kannten sich, seit sie Kinder waren. Inzwischen lebte Fiona in der Schweiz, und ihr Kontakt beschränkte sich auf gelegentliche Videochats. Ihrer Mutter hätte Jennifer niemals erklären können, dass sich ihre Leben einfach zu unterschiedlich entwickelt hatten. Fiona war mit ganzem Herzen Mutter von drei Kindern, mit einem liebenden Mann an ihrer Seite. Victor, mit dem Jennifer immerhin per E-Mail etwas regelmäßiger kommunizierte, behauptete gerne, sie könne Fionas Glück nicht ertragen. Jennifer war sich allerdings sicher, dass die Liebe zu ihrem Job einfach nicht mit dem Leben eines Familienmenschen kompatibel war.
Kai kam mit der Lieferung zurück ins Wohnzimmer und stellte den Salat und den Pizzakarton auf dem Tisch vor ihr ab. Dann verschwand er noch einmal in Richtung Küche, um Besteck zu holen, allerdings nicht ohne Jennifer vorher einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Du hast es versprochen.
»Mach dir nicht allzu viele Sorgen um Bastian, okay? Ich bin wirklich davon überzeugt, dass er noch die Kurve kriegen wird. Baut einfach nicht zu viel Druck auf, ja?«
Ihre Mutter grummelte etwas Unverständliches. »Ich werde mich bemühen«, sagte sie anschließend. »Meinst du, wir können am Wochenende noch mal telefonieren?«
»Ich werde versuchen, mich zu melden.«
»Na schön. Pass auf dich auf, Kleines.«
Jennifer verabschiedete sich und unterbrach die Verbindung. Sie fühlte sich plötzlich ziemlich mies, ein Gefühl, das Telefonate mit ihrer Mutter nur allzu oft in ihr hinterließen. Wieso schaffte es ihre Mutter eigentlich immer wieder, dass sie sich schuldig fühlte?
Kai ließ sich neben ihr nieder und hielt ihr Messer und Gabel hin. Sie nahm beides entgegen, es vergingen jedoch noch mehrere Minuten, bevor sie den Plastikteller mit dem Salat auf ihren Schoß holte.
Im Fernsehen lief ein älterer Actionfilm mit Bruce Willis. Kai begnügte sich mit leise gestelltem Ton und dem Arm hinter ihr auf der Sofalehne, während sie aß.
Den Rest des Abends verbrachten sie schweigend. Jennifer rollte sich irgendwann am einen Ende des Sofas zusammen und schlief während der Wiederholung einer Folge von King of Queens ein. Dass Kai irgendwann ging, bekam sie nicht mehr mit.
Am Donnerstagmorgen wurde Jennifer von Gaja geweckt, die auf die Couch sprang und zielsicher auf ihrem Bauch landete. Als die Katze bemerkte, dass ihr Frauchen wach war, stimmte sie ein herzzerreißendes Miauen an. Jeder Außenstehende hätte geglaubt, der Stubentiger habe seit Tagen nichts mehr zu fressen bekommen.
Was in gewisser Weise sogar stimmte. Gaja hatte sich in letzter Zeit anstatt mit Katzenfutter mit Thunfisch aus der Dose, Milch und Schinken »begnügen« müssen. Das Gourmetessen hatte sie den mit den Öffnungszeiten der Supermärkte unvereinbaren Arbeitszeiten ihres Frauchens zu verdanken.
»Ja, ich weiß, Süße. Du bist die bedauernswerteste Kitty auf dem ganzen Planeten.«
Jennifer schob Gaja vom Sofa. Sie war spät dran, die Uhr zeigte bereits kurz nach zehn. Sie raffte sich auf und schlurfte der Katze, die nun zwischen begeistertem Schnurren und Miauen wechselte, in die Küche hinterher. Ein Blick in die Schachtel offenbarte, dass das Trockenfutter noch immer leer war.
Während Jennifer im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchte, strich das schwarzgrau gescheckte Nervenbündel ungeduldig um ihre Beine herum. Letztlich blieb aber doch wieder nur Thunfisch. Jennifer nahm sich vor, auf dem Weg ins Büro endlich Katzenfutter zu kaufen, auch wenn ihre pelzige Mitbewohnerin ihr das nach dem Luxusleben der letzten Tage sicher übelnehmen würde.
Das Glück war jedoch einmal mehr auf Gajas Seite. Jennifer saß kaum im Auto, als sie ein Anruf von Freya Olsson erreichte.
»Hi, Freya.«
»Hey.« Die Stimme der Büroassistentin klang ein wenig nasal. Sie schien erkältet zu sein. »Kommst du heute im Büro vorbei? Hier liegt einiges zum Unterschreiben.«
»Ja, so mein Plan.« Jennifer hatte eine ungute Vorahnung. Es gab eigentlich nur einen Grund, warum ihre Unterschrift unbedingt notwendig war. »Hat Marcel bei dir angerufen?«
»Er hat sich weiterhin krankgemeldet«, bestätigte Freya. »Er hat nicht gesagt, für wie lange.«
Jennifer unterdrückte ein Seufzen. Verdammt. »Ist er auf seinem Handy erreichbar? Oder hat er irgendeine andere Nummer hinterlassen?«
»Er hat nicht von seinem Handy aus angerufen«, erwiderte Freya mit einem fragenden Unterton in der Stimme. Sie war neugierig auf die Hintergründe. »Keine
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