Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
daher das Thema. »Wie ich Ihnen bereits sagte, geht es um Ihre Mutter. Katharina Seydel.«
Charlotte reagierte nicht.
Jennifer zog das Beweistütchen mit dem Anhänger aus dem Umschlag, der zuoberst auf ihren Papieren lag. Ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen, schob sie die Kette über den Tisch. »Sie haben bei der Vermisstenmeldung Ihrer Mutter angegeben, dass sie ein derartiges Schmuckstück trug. Wir würden gerne von Ihnen wissen, ob das die Kette Ihrer Mutter ist.«
Charlotte griff nach dem Tütchen und zog es zu sich heran. Erst jetzt bemerkte Jennifer, dass ihre Fingernägel schwarz lackiert waren. In der rechten Wange der jungen Frau zuckte ein Muskel, sie zeigte jedoch keine weitere Reaktion und schob den Anhänger in die Tischmitte zurück. »Das ist die Kette meiner Mutter.«
Nicht der Hauch eines Zweifels lag in ihrer Stimme.
Dennoch fragte sie nicht, woher die Polizisten den Anhänger hatten. Ahnte sie es, oder wusste sie etwas?
Jennifer lehnte sich zurück und unterdrückte ein Seufzen. Es kostete sie Mühe, ihrem Gegenüber weiterhin in die Augen zu sehen. Jennifer hasste diesen Teil ihres Jobs, unabhängig davon, ob sie Sympathien für die Betroffenen hegte oder nicht. »Es tut mir leid, Frau Seydel. Aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter nicht mehr am Leben ist.«
Ein Stirnrunzeln, mehr nicht.
Jennifer hätte ebenso gut über eine völlig Fremde sprechen können. »Mein Beileid.« Die Floskel hinterließ wie immer einen schalen Geschmack in ihrem Mund.
»Ist es die Leiche, die ihr im Wald gefunden habt?«
Die Frage überraschte Jennifer derart, dass sie für einen Moment nur vollkommen perplex dasaß.
Grohmann füllte das entstehende Schweigen. »Woher wissen Sie von der Leiche? Hören Sie den Polizeifunk ab?« Er klang neutral, trotzdem schien etwas Feindseliges in seiner Stimme zu liegen.
Charlotte hätte Grohmanns Misstrauen recht einfach ausräumen können, indem sie ihm die Wahrheit gesagt hätte. Die beiden Geocacher, die über die Überreste im Wald gestolpert waren, hatten Kontakte nach »Garten Eden«. Die Neuigkeit hatte in der Siedlung innerhalb weniger Stunden die Runde gemacht.
Doch sie sah überhaupt keine Veranlassung dazu, Grohmann entgegenzukommen und sich zu rechtfertigen. Stattdessen schenkte sie ihm ein kühles Lächeln. »Sollten Sie mich nicht über meine Rechte belehren, bevor Sie mir derartige Fragen stellen, Detective ?«
Die verächtliche Betonung der englischen Dienstbezeichnung war eine unmissverständliche Provokation.
Jennifer schaltete sich ein, bevor der Staatsanwalt etwas erwidern konnte. »Wir wollen Ihnen keinen Ärger machen, Frau Seydel. Wir sind auf Ihre Mithilfe angewiesen.« Sie unterbrach sich kurz, um sicherzugehen, dass sie Charlottes ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. »Ihre Mutter ist ermordet worden.«
Wieder keine Reaktion. Die junge Frau schien zu warten.
»Das scheint Sie nicht zu überraschen.«
Charlotte stieß ein kurzes, freudloses Lachen aus. Sie beugte sich vor und legte ihre Arme auf der Tischplatte ab.
Unwillkürlich blieb Jennifers Blick an den beiden Tätowierungen auf den Innenseiten von Charlottes Unterarmen hängen. In geschwungener Schrift war auf dem linken Arm »Heaven« und auf dem rechten Arm »Hell« eintätowiert. Jennifers trainiertem Blick entgingen die vielen quer verlaufenden Narben nicht, die von den Schriftzügen geschickt überdeckt wurden. Sie stammten augenscheinlich von intensivem, jahrelangem Ritzen.
Jennifer musste sich zwingen, Charlotte Seydel wieder ins Gesicht zu blicken.
»Ich bin von Anfang an davon ausgegangen, dass ihr etwas zugestoßen ist. Nur den Typen, der die Anzeige vor sechs Monaten aufgenommen hat, hat das einen Scheißdreck interessiert. Verdammter Vollidiot.«
Dem musste Jennifer leider zustimmen. Die Vermisstenanzeige und die Notizen des Beamten zeigten nur allzu deutlich, dass er seine Arbeit nach Schema F erledigt hatte, zwar streng nach Vorschrift, aber ohne Verstand oder Fingerspitzengefühl.
Noch dazu hatte er Mutter und Tochter vermutlich schon in dem Moment vorverurteilt, als Charlotte Seydel durch die Tür der Wache gekommen war. Die junge Frau war wahrscheinlich in einem ähnlichen Aufzug erschienen wie jetzt, und ein erster Blick konnte sie vorschnell der Kategorie »asozial« zugeordnet haben.
Jennifer schlug den Aktenordner auf, in dem die ausgedruckte Anzeige lag, die sie bereits mit Notizen versehen hatte. »Ich möchte mit Ihnen noch einmal
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