Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
legte den Kopf auf die Seite und ließ den Blick zwischen Leitner und Grohmann hin und her wandern. Sie wusste instinktiv, dass mehr dahintersteckte, ihr war aber auch klar, dass die beiden Beamten – wenn der Typ denn überhaupt ein Polizist war – ihr hier und jetzt nicht mehr sagen würden.
»Wieso haben Sie mich dann nicht angerufen und einbestellt?«, fragte sie mit leichter Provokation in der Stimme. »Etwas übertrieben, mich hier einzusammeln, oder nicht?«
Jennifer schenkte ihr ein Lächeln, das nicht aufgesetzter und süßer hätte ausfallen können. »Ihrer Bewährungshelferin zufolge haben Sie kein Telefon oder Handy.«
Charlotte zuckte die Schultern. Selbstverständlich hatte sie ein Handy. Dem Miststück, das sich Bewährungshelferin nannte, aber nicht mehr als eine Nervensäge erster Klasse war, würde sie die Nummer jedoch nur über ihre Leiche geben.
»Kommen Sie.« Jennifer nickte zur Tür hin. »Wenn Sie wollen, kann ich Sie nachher auch zurückbringen lassen.«
Wieder flackerte ein Lächeln im Gesicht der jungen Frau auf. Sie deutete auf die noch immer offen stehende Tür, die auf den Kiesweg hinausführte. »Nach Ihnen.«
6
Auf dem Revier angekommen, führten Jennifer und Grohmann Charlotte in das einzige Verhörzimmer, das keine Gefängnisatmosphäre verströmte. Die Versuche, durch entsprechendes Mobiliar und eine freundliche Wandfarbe bei den Besuchern Gefühle von Wohlbefinden zu wecken, scheiterten jedoch allein schon an der Beleuchtung und dem grauen Linoleumboden.
Die beiden Ermittler warteten, bis sich die junge Frau für eine Seite des Tisches entschieden hatte, dann setzten sie sich ihr gegenüber. Jennifer sortierte noch einmal die Akten und Notizen, um Zeit zu gewinnen und Charlotte Seydel einer unauffälligen Musterung zu unterziehen.
Charlotte fläzte in ihrem Stuhl und schien sich keinerlei Sorgen zu machen. Geduldig wartete sie darauf, dass Leitner und Grohmann das Gespräch eröffneten. Nur ein gelegentliches Zupfen an dem Armband an ihrem linken Handgelenk zeigte, dass sie nicht ganz so entspannt war, wie sie vorgab.
Jennifer ärgerte sich, dass das Verhalten der jungen Frau sie dazu gebracht hatte, ihre professionelle Objektivität einzubüßen. Sie würde Charlotte Seydel in den nächsten Minuten wahrscheinlich mitteilen müssen, dass ihre Mutter tot war, und durfte sie nicht wie eine Verdächtige behandeln. Ganz gleich, ob Charlotte Seydel ein Problem damit hatte, ihre Aggressionen im Zaum zu halten, oder nicht.
Es sollte auch keine Rolle spielen, dass der Inhalt der Vermisstenanzeige ein eher kühles Verhältnis zwischen Mutter und Tochter suggeriert hatte. Der Beamte, der die Anzeige aufgenommen hatte, hatte sogar einen entsprechenden Vermerk gemacht. Charlotte hatte offenbar nicht den Eindruck hinterlassen, sich wirklich Sorgen um ihre Mutter zu machen. Vermutlich einer der Gründe, warum die Vermisstenanzeige derart dürftig ausgefallen war.
Charlotte musterte die Kripobeamtin, während diese ihre Unterlagen sortierte. Leitner war überraschend jung, keine vierzig, doch sie strahlte Ruhe und Härte gleichermaßen aus. Die zu einem strengen Zopf zusammengebundenen braunen Haare, das Fehlen von Schmuck oder Make-up sowie ihre praktische Kleidung verstärkten diesen Eindruck, nahmen ihren Gesichtszügen jedoch nicht ihre Weiblichkeit.
Ihre Schlachten in einer von Männern dominierten Welt hatte Leitner offensichtlich bereits erfolgreich geschlagen. Ein Blick in ihre Augen hatte Charlotte genügt, um in ihr die kompetente und durchsetzungsstarke Beamtin zu erkennen.
Wenn man ihr als Verdächtiger gegenübersaß, hatte man definitiv ein Problem.
Charlotte verschränkte die Arme vor der Brust. »Sagen Sie mir jetzt endlich, was Sie von mir wollen?«
»Wir wollen uns nur mit Ihnen unterhalten, Frau Seydel.« Jennifer bemühte sich um einen defensiven Tonfall. »Es tut mir leid, dass Ihnen der Zeitpunkt ungelegen kommt.«
Charlotte stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Sicher tut es das.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann fixierte die junge Frau unvermittelt Grohmann. »Wer ist dieser Typ? Sie haben ihn mir nicht vorgestellt.«
»Ein Kollege. Oliver Grohmann.« Jennifers Gefühl sagte ihr, dass Charlotte Seydel sofort dicht machen würde, wenn sie erfuhr, dass er Staatsanwalt war. Die junge Frau hatte offensichtlich ein Problem mit staatlichen Autoritäten, das sich vermutlich verstärkte, je höher der Rang eines Beamten war. Sie wechselte
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