Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Seydel mehr an dem Hamster gelegen als an ihrer eigenen Tochter. Jennifer lag die Frage auf der Zunge, ob es denn irgendetwas gegeben hatte, das ihre Mutter in Lemanshain hätte halten sollen – oder irgendjemanden. Dass Charlotte für diese Rolle nicht infrage kam, war offensichtlich.
Letztlich war es aber sinnlos, noch länger bei dem Thema zu verharren. Was auch immer Charlottes Gefühl genährt hatte, dass ihrer Mutter etwas zugestoßen war – ob es nachvollziehbare Gründe dafür gegeben hatte oder nicht – , sie hatte recht behalten.
Jennifer lenkte die Unterhaltung in eine etwas andere Richtung. »Erinnern Sie sich daran, ob Ihre Mutter einmal erwähnt hat, dass sie sich verfolgt fühlte? Oder gab es irgendjemanden, der ihr zu nahe kam?«
»Nein.«
»Lebte Ihre Mutter zum Zeitpunkt ihres Verschwindens in einer Beziehung?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Jennifer biss sich auf die Unterlippe. Wann hatte sie zum letzten Mal ein derart zähes Gespräch geführt? Langsam kam ihr der Verdacht, Mutter und Tochter könnten so wenig Kontakt gehabt haben, dass Charlotte ihnen kaum brauchbare Informationen geben konnte.
Die junge Frau bestätigte diese Vermutung im nächsten Moment, als sie zögerlich hinzufügte: »Meine Mom und ich standen uns nicht sehr nahe.« Nur ein Hauch von Bedauern lag in ihrer Stimme.
Jennifer hatte das Gefühl, irgendetwas darauf antworten zu müssen, ihr fiel jedoch nichts ein. »Wir würden uns gerne ein genaueres Bild von der Lebenssituation Ihrer Mutter machen. Das könnte für unsere weiteren Ermittlungen sehr wichtig sein. Hatte sie Freunde oder Bekannte, mit denen wir sprechen könnten?«
»Sie hat nie jemanden erwähnt.«
»Wo arbeitete Ihre Mutter?«
Charlotte versteifte sich.
Eine Reaktion, die Jennifer nicht verwunderte. Aus der Vermisstenanzeige ging hervor, dass der Beamte aufgrund der vagen Angaben der Tochter davon ausging, dass Katharina Seydel als Prostituierte gearbeitet hatte. Jennifer hatte diese Annahme im Gegensatz zu dem Beamten überprüft und hatte einige Einträge in den Berichten der Kollegen von der Sitte gefunden, die diese Vermutung bestätigten.
Zumindest hatte sich Katharina Seydel ab und zu ihre Kasse mit Diensten im ortsansässigen Bordell aufgebessert. Ob sie ausschließlich als Professionelle gearbeitet hatte, war noch nicht geklärt. Sozialleistungen hatte sie vor ihrem Verschwinden zumindest schon seit über einem Jahr nicht mehr bezogen.
Charlotte zuckte die Schultern. »Mir sagte sie, sie hätte einen Job in einem Schnellrestaurant.«
»Sagte sie, wo oder in welchem?«, hakte Grohmann nach.
»Nein. Aber da sie aus Lemanshain normalerweise nur selten herauskam, dachte ich, bei McDonald’s.«
»Sie haben sie dort aber nie gesehen?«
»So oft esse ich dort nicht, Mister .« Erneut eine Provokation in Grohmanns Richtung. Es schien Charlotte nicht zu gefallen, dass sie seinen Rang und seine Stellung noch immer nicht kannte. Allerdings verfehlte die Bemerkung ihre Wirkung, der Staatsanwalt zeigte nicht die geringste Reaktion.
Jennifer machte sich eine Notiz. »Haben Sie einen Schlüssel zur Wohnung Ihrer Mutter? Wir würden uns dort gerne umsehen.«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Ich musste die Wohnung auflösen. Es gab Ärger mit dem Vermieter wegen der ausstehenden Miete. Ich habe das dann geregelt, die Möbel verkauft, die Konten eingefroren und das alles. Hat mir die Dame von der Rechtsberatung am Gericht empfohlen.«
Sie war tatsächlich davon ausgegangen, dass ihre Mutter niemals zurückkehren würde. Keinerlei Hoffnung lag in ihrer Stimme, nur Resignation. Trotzdem war es ein Detail, das Jennifer ihrer stichpunktartigen Liste hinzufügte.
»Ich habe aber Fotos von der Wohnung gemacht, so, wie ich sie vorgefunden habe. Die kann ich Ihnen auf CD brennen, wenn Ihnen das weiterhilft.«
Noch eine verblüffende Information – und überraschende Kooperationsbereitschaft. Charlotte Seydel schien langsam ein wenig aufzutauen.
»Das wäre super. Haben Sie noch Ihre persönlichen Sachen? Unterlagen, Kontoauszüge, Korrespondenz etc.?«
»In einer Umzugskiste in einem Schließfach.«
Jennifer und Grohmann runzelten gleichzeitig die Stirn.
»Sie haben gesehen, wo ich wohne. Da ist für eine Umzugskiste kein Platz.«
»War irgendetwas dabei, was Ihre Aufmerksamkeit erregt hat?« Jennifer bezweifelte es.
Und behielt recht. »Nein. Da war nichts Besonderes. Sie können die Kiste haben, wenn Sie sie brauchen.«
Jennifer nickte.
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