Todeszeit
ebenso digital wie die an Mitchs Handgelenk, und doch konnte er die Zeit ticken hören, so rasch wie das Klick-klick-klick des Dorns, der im Kasino an die Metallstifte eines Glücksrads schnappte.
Am liebsten wäre er vom Ort des Mordes sofort nach Hause gerast. Logischerweise war Holly von dort entführt worden. Bestimmt hatte man sie nicht auf dem Weg zur Arbeit, mitten auf einer öffentlichen Straße, überfallen.
Vielleicht hatten die Täter versehentlich etwas hinterlassen, das auf ihre Identität hindeutete. Wahrscheinlicher war jedoch, dass sie eine Botschaft für ihn hinterlassen hatten, die weitere Anweisungen enthielt.
Wie üblich hatte Mitch seinen Arbeitstag damit begonnen, indem er Iggy von dessen Wohnung in Santa Ana abgeholt hatte. Nun musste er ihn auch zurückbringen.
Während sie von den mondänen, wohlhabenden Villenvierteln an der Küste von Orange County nach Norden zu ihrer bescheideneren Wohngegend fuhren, bog Mitch von der überfüllten Autobahn auf die Landstraße ab. Dort war allerdings auch viel Verkehr.
Iggy wollte über den Mord und die Aktivitäten der Polizei sprechen. Dabei musste Mitch so tun, als wäre er ebenso aufgeregt über die Ereignisse wie sein Beifahrer, während er in Wirklichkeit ständig an Holly dachte und darüber nachgrübelte, was ihn als Nächstes erwartete.
Glücklicherweise nahm das Gespräch mit Iggy wie üblich bald so viele Drehungen und Wendungen wie ein Wollknäuel, den ein Kätzchen über den Boden rollte.
Sich scheinbar für dieses weitschweifige Geplauder zu interessieren, fiel Mitch weniger schwer, als über den toten Hundebesitzer zu sprechen.
»Mein Cousin Louis hatte einen Freund namens Booger«, sagte Iggy. »Dem ist dasselbe passiert. Man hat auf ihn geballert, als er mit dem Hund auf die Straße ging, bloß war es keine Flinte, und es war auch kein Hund.«
»Booger?«, wiederholte Mitch fragend.
»Booker«, stellte Iggy richtig. »B-o-o-k-e-r. Er hatte eine Katze, die er Wuschel getauft hatte. Mit der ist er rausgegangen, und dabei hat man auf ihn geschossen.«
»Seit wann geht man mit Katzen Gassi?«
»Von Gassi gehen hab ich nichts gesagt. Wuschel saß bequem in einem Transportkäfig, weil Booker sie zum Tierarzt bringen wollte.«
Mitch schaute ständig in Rück- und Seitenspiegel. Ein eleganter schwarzer Geländewagen, wohl ein Cadillac, war hinter ihnen von der Autobahn abgebogen. Seither fuhr er ständig hinter ihnen her.
»Dann war das also ganz was anderes«, sagte Mitch.
»Wieso? Er ist mit der Katze die Straße entlanggegangen, und da hat ein zwölfjähriges Bürschlein, so ein richtiger Rotzlümmel, mit einer Paintballpistole auf ihn geballert. «
»Also hat man ihn nicht umgebracht.«
»Hab ich auch nicht behauptet. Außerdem war es ’ne Katze und kein Hund, aber Booker war total blau.«
»Blau?«
»Blaues Haar, blaues Gesicht. Mann, war der sauer!«
Der Cadillac fuhr weiterhin mit zwei oder drei Fahrzeuglängen
Abstand hinter ihnen. Vielleicht hoffte der Fahrer, dass Mitch ihn nicht bemerkte.
»Dann war Booker also blau«, sagte Mitch. »Was ist aus dem Bürschlein geworden?«
»Dem kleinen Scheißer wollte Booker eins überziehen, aber da hat der ihm genau zwischen die Beine geschossen und ist weggerannt. He, Mitch, wusstest du, dass es in Schottland nur blaue Ostereier gibt?«
»Nie gehört.«
»Die sind eben sparsam, die Schotten. Tragen bekanntlich auch keine Unterhosen unterm Rock.«
Mitch trat aufs Gas, um eine Kreuzung zu überqueren, kurz bevor die Ampel auf Rot umsprang. Hinter ihm wechselte der schwarze Wagen die Spur, beschleunigte und schaffte es ebenfalls noch bei Gelb.
»Kennst du eigentlich dieses schottische Gebäck?«, fragte Iggy. »Shortbread heißt das.«
»Nee. Hab ich noch nie gegessen.«
»Da ist massenhaft Butter drin, und außerdem ist es süßer als Jennifer Aniston. Ganz schön verführerisch, Kumpel.«
Der Cadillac ließ sich zurückfallen und scherte erneut in Mitchs Fahrspur ein. Nun waren wieder zwei andere Autos dazwischen.
»Earl Potter hat ein Bein verloren, weil er zu viel Gebäck gefuttert hat.«
»Earl Potter?«
»Der Vater von Tim Potter. Der war Diabetiker, hatte aber keine Ahnung davon und hat jeden Tag eine Riesenschachtel Kekse verdrückt. Sag mal, diese dänischen Kekse kennst du aber, oder?«
»Wie war das mit dem Bein von Earl?«, fragte Mitch.
»Echt ätzend, Mann. Eines Tages war sein Fuß taub, und er konnte nicht mehr richtig gehen. Da hat sich
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