Todeszeit
des anderen zu finden, bis einer von ihnen endlich einen Fehler machte.
Falls das die Spielregeln waren, dann würde Mitch derjenige sein, der den tödlichen Fehler machte, denn er war der Spieler mit der geringeren Erfahrung. Bisher hatte sich gezeigt, dass seine Hoffnung darin lag, die Erwartungen seiner Gegner halt eben nicht zu erfüllen.
Nachdem Mitch die beiden mit dem Revolver überrascht hatte, erwartete der verbliebene Killer sicher, dass er einen ebenso starken Selbsterhaltungstrieb besaß wie ein in die Ecke getriebenes Tier. Schließlich hatte er nun bewiesen, nicht von Angst, Selbstmitleid und Selbstverachtung gelähmt zu sein.
Allerdings erwartete der Killer vielleicht nicht, dass Mitch freiwillig wieder in die Ecke zurückkehrte, aus der er gerade eben entkommen war.
Der alte Chrysler stand zwanzig Meter weiter am Wegrand. Der Kofferraumdeckel war immer noch halb geöffnet.
Mitch lief zum Wagen und blieb neben der dahinter liegenden Leiche stehen. Es war der Mann mit den Aknenarben, der da auf dem Rücken lag und mit blinden Augen in den Sternenhimmel schaute.
Diese Augen waren selbst wie zwei in sich zusammengefallene Sterne, wie Schwarze Löcher, die eine solche Schwerkraft ausübten, dass Mitch Angst hatte, ins Nichts gezogen zu werden, wenn er zu lange hineinblickte.
Schuldgefühle empfand er nicht. Trotz seines Vaters glaubte er an einen höheren Sinn des Lebens und an ein Naturgesetz, aber in Notwehr zu töten war nach keinem ethischen Kodex der Welt eine Sünde.
Ein Grund zum Feiern war es jedoch auch nicht. Mitch hatte das Gefühl, etwas Wertvolles verloren zu haben. Man mochte es Unschuld nennen, aber das war nur ein Teil dieses Verlusts; zusammen mit der Unschuld war die Fähigkeit zu einer bestimmten Art von Zärtlichkeit verschwunden, die Erwartung einer köstlichen, unbeschreiblichen Freude, die er sein Leben lang gehegt hatte.
Mitch drehte sich um und betrachtete den Boden, um festzustellen, ob er Fußspuren hinterlassen hatte. Bei Sonnenlicht
hätte der feste, ausgedörrte Boden ihn womöglich verraten, aber nun war nichts zu erkennen.
Unter dem hypnotisierenden Blick des Mondes schien die Wüste zu schlafen und zu träumen. Im Silber und Schwarz der meisten Träume lag sie da; jeder Schatten war so hart wie Eisen, jeder Gegenstand so substanzlos wie Rauch.
Als Mitch in den Kofferraum blickte, in den der Mond nicht hineinleuchtete, gähnte ihm Dunkelheit entgegen wie das offene Maul eines gnadenlosen Wesens. Den Boden konnte er nicht sehen, als stünde er vor einem Zauberkasten, der Raum für eine endlose Zahl von Gepäckstücken bot.
Er zog die Pistole aus dem Gürtel.
Dann hob er den Kofferraumdeckel weiter an, kletterte hinein und zog den Deckel wieder halb zu.
Nach einigem Herumexperimentieren stellte er fest, dass der Schalldämpfer mit einem Gewinde am Lauf der Pistole befestigt war. Er schraubte ihn ab und legte ihn beiseite.
Wenn der Killer sein Opfer weder im Pampasgras noch im Gestrüpp oder in einer Nische zwischen den verwitterten Felsen fand, dann postierte er sich früher oder später irgendwo in der Nähe, um den Chrysler zu beobachten. Bestimmt nahm er an, dass Mitch in der Hoffnung, den Schlüssel im Zündschloss vorzufinden, zum Wagen zurückkehrte.
Ein professioneller Mörder war sicherlich nicht in der Lage zu begreifen, dass ein guter Ehemann nie einfach davonfahren und alles zurücklassen würde – sein Versprechen, seine Frau und seine größte Hoffnung auf Liebe in einer Welt, die wenig davon bot.
Wenn der Killer sich einen Beobachtungsposten hinter dem Wagen suchte, dann überquerte er dazu vielleicht im Mondlicht die Straße. Das würde er vorsichtig und rasch tun, aber dennoch ein klares Ziel bieten.
Natürlich war es auch möglich, dass er sich auf der anderen Seite des Wagens postierte. Aber wenn die Zeit verging und nichts geschah, machte er sich vielleicht noch einmal daran, die Umgebung zu erforschen, und kam bei der Rückkehr in Mitchs Blickfeld.
Seit die beiden Vollstrecker den Kofferraum geöffnet hatten und von einer Salve empfangen worden waren, waren erst sieben oder acht Minuten vergangen. Der verbliebene Killer würde geduldig sein. Wenn seine Bemühungen, Mitch zur Strecke zu bringen, jedoch fruchtlos blieben, überlegte er sich bestimmt, ob er sich nicht doch davonmachen sollte, egal, wie sehr er seinen Boss fürchtete.
In diesem Augenblick, wenn nicht schon früher, würde er zum Wagen kommen, um sich um die Leiche zu
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