Todeszeit
Boden, die Hand des Killers sank herab und lag nun, da die einsilbige Drohung sich als Vorhersage seines eigenen Schicksals erwiesen hatte, im Schoß, als wollte er seinen Gegner zu einer unzüchtigen Handlung einladen.
Mitch ließ die Tür offen stehen, während er an den Straßenrand ging und sich dort auf einen Felsbrocken setzte, bis er sicher sein konnte, doch nicht kotzen zu müssen.
35
Auf dem Felsen sitzend, hatte Mitch viel zu überlegen.
Wenn dieser Albtraum zu Ende war – falls er überhaupt je zu Ende ging –, dann war es womöglich das Beste, zur Polizei zu fahren, von dem verzweifelten Kampf zu berichten und die zwei toten Killer im Kofferraum des Chryslers zu präsentieren.
Natürlich würde Julian Campbell leugnen, dass er die beiden angewiesen hatte, Mitch umzubringen. Wahrscheinlich leugnete er sogar, dass sie in seinen Diensten gestanden hatten.
Solche Leute wurden wahrscheinlich in bar bezahlt; für Campbell war es gut, möglichst wenig Belege zu haben, und die zwei Killer hatten sich wohl kaum darum geschert, dass man kein Anrecht auf Sozialversicherungsleistungen hatte, wenn man keine Steuern abführte.
Rein theoretisch war es durchaus möglich, dass die Behörden keinerlei Ahnung davon hatten, woher der Großteil von Campbells Vermögen stammte. Dem Anschein nach konnte er einer der geachtetsten Bürger Kaliforniens sein.
Mitch hingegen war ein einfacher Gärtner, der bereits allerhand belastende Indizien am Bein hatte. Zum einen würden die Kidnapper ihm den Mord an seiner Frau in die Schuhe schieben, wenn es ihm nicht gelang, das Lösegeld aufzutreiben, und zum anderen stand in Corona del Mar vor Ansons Haus der Honda mit der Leiche von John Knox im Kofferraum.
Zwar hegte Mitch keine grundsätzlichen Zweifel am Funktionieren des Rechtsstaats, aber deshalb glaubte er noch lange nicht, dass die Spurensicherung so penibel und unfehlbar arbeitete, wie man es im Fernsehen gern darstellte. Je mehr Indizien auf seine Schuld hinwiesen, desto mehr würde man den Verdacht gegen ihn bestätigt sehen und desto eher jene Einzelheiten ignorieren, die ihn entlasteten. Dass ein Teil dieser Indizien bewusst gefälscht war, würde da keine Rolle spielen.
Egal. Momentan kam es ohnehin vor allem darauf an, in Freiheit zu bleiben, bis er Holly wiederhatte. Und er würde sie wiederbekommen – oder bei dem Versuch, sie zu befreien, sterben.
Nachdem er Holly kennengelernt und sich fast augenblicklich in sie verliebt hatte, war ihm klar geworden, dass er bis dahin nur halb am Leben gewesen war. Er war lebendig in seiner Kindheit begraben gewesen. Holly hatte die emotionalen Fesseln gelöst, die seine Eltern in ihm hinterlassen hatten, und erst danach war er aufgeblüht.
Seine Verwandlung hatte ihn in Erstaunen versetzt. Am Tag der Hochzeit hatte er sich dann endlich vollständig lebendig gefühlt.
In der heutigen Nacht erkannte er jedoch, dass ein Teil von ihm noch im Schlaf gelegen hatte. Nun war er zu einer Klarheit des Blicks erwacht, die ihn gleichermaßen beglückte und in Schrecken versetzte.
Er war auf eine Bosheit gestoßen, die so rein war, dass er ihre Existenz noch am Vortag nicht für möglich gehalten hatte. Kein Wunder, schließlich hatte man ihn dazu erzogen, sie zu leugnen.
Mit diesem Erkennen des Bösen verband sich jedoch ein zunehmendes Bewusstsein, dass alles, was er sah, fast jeder Gegenstand, mehr Dimensionen besaß, als er früher
wahrgenommen hatte. Den Dingen war mehr Schönheit zu eigen, und sie drückten merkwürdige Verheißungen aus.
Was er damit meinte, wusste er nicht genau. Er wusste nur, dass etwas geschehen war, das ihm die Augen für eine höhere Realität geöffnet hatte. Hinter den vielschichtigen, faszinierenden Geheimnissen dieser neuen Welt, die ihn umgab, spürte er eine Wahrheit, die sich nun nach und nach entschleiern würde.
Komisch, dass er sich in diesem Zustand der Klarheit ausgerechnet mit der dringenden Aufgabe beschäftigen musste, zwei Leichen zu entsorgen.
Ein Glucksen stieg in ihm auf, doch er schluckte es hinunter. Kurz vor Mitternacht in Gesellschaft von zwei toten Männern in der Wüste zu sitzen und in den Mond zu lachen, war wohl kaum der erste Schritt auf dem Pfad, der von diesem Ort wegführte.
Von einem Punkt hoch im Osten glitt ein Meteor westwärts. Das sah aus wie ein Reißverschluss, der den schwarzen Himmel so weit öffnete, dass dahinter ein winziger Spalt blendendes Weiß zu sehen war. So rasch, wie er aufgerissen war,
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