Todeszeit
Stattdessen war er nur noch demütiger geworden.
Um sich den Gestank von Blut zu ersparen, kurbelte er alle vier Fenster herunter.
Der Motor sprang sofort an und gab ein kehliges, kraftvolles Brummen von sich. Mitch schaltete die Scheinwerfer ein.
Als er einen Blick auf die Benzinuhr warf, stellte er erleichtert fest, dass der Tank noch fast drei Viertel voll war. Er hatte keine große Lust, irgendwo anzuhalten, wo er beobachtet wurde, nicht einmal an einer Selbstbedienungstankstelle.
Mitch wendete den Wagen und hatte auf der holprigen Straße etwa sechs Kilometer zurückgelegt, als er an einer Kuppe auf einen Anblick stieß, bei dem er unwillkürlich auf die Bremse trat.
Im Süden breitete sich in einer flachen Senke ein See aus Quecksilber aus. An der Oberfläche schwebten konzentrische
Kreise aus funkelnden Diamanten, die sich langsam im Sog eines trägen Strudels bewegten, so majestätisch wie ein Spiralnebel.
Einen Moment lang sah die Szenerie so unwirklich aus, dass Mitch sie für eine Halluzination oder Vision hielt. Dann erkannte er ein weites Feld mit einer bestimmten Gräsersorte, vielleicht Haargerste mit ihren fedrigen Blütenständen und seidigen Grannen.
Das Mondlicht versilberte die Ähren und brachte sie zum Funkeln. Ein unendlich träger Windhauch kreiste so anmutig und gleichmäßig durch die Senke, als hätte zu diesem Tanz des Grases ein Walzer gespielt.
In diesem Gras verbarg sich irgendeine Bedeutung, das spürte Mitch, aber dann stieg ihm der Gestank von Blut in die Nase und holte ihn in eine äußerst ernüchternde Gegenwart zurück.
Am Ende der Straße angekommen, bog er nach rechts ab, weil sie, soweit er sich erinnerte, bei der Herfahrt dort links abgebogen waren. Ab hier waren die Landstraßen gut beschildert. Statt zum Anwesen von Julian Campbell zurückzukehren, das er hoffentlich nie wiedersah, steuerte er die Autobahn an.
Da Mitternacht vorbei war, herrschte kaum Verkehr. Auf der Fahrt nach Norden achtete Mitch sorgfältig darauf, die Geschwindigkeitsbegrenzung nie um mehr als zehn Prozent zu überschreiten. Ein so minimaler Verstoß wurde normalerweise nicht geahndet.
Der Chrysler Windsor war ein wunderschönes Automobil. Selten kehrten Tote so stilvoll in die Welt der Lebenden zurück, um sie anständig aufzumischen.
36
Es war zwanzig nach zwei, als Mitch in Orange ankam. Er parkte eine Querstraße von seinem Haus entfernt.
Sorgfältig kurbelte er alle vier Fenster hoch und schloss die Türen ab.
Die Pistole hatte er sich in den Gürtel gesteckt und sein Hemd darübergezogen, um sie zu verbergen. Sie hatte dem Killer mit dem glatten Gesicht gehört, der zu ihm gesagt hatte: Stirb!, dann jedoch zu schwach gewesen war, um ein letztes Mal den Finger um den Abzug zu krümmen. Die Waffe enthielt acht Patronen, doch Mitch hoffte, keine davon gebrauchen zu müssen.
Der Wagen stand unter einem alten Jacaranda-Baum in voller Blüte, und als Mitch ins Licht der Straßenlaterne daneben trat, sah er, dass er auf einem Teppich aus purpurfarbenen Blütenblättern ging.
Vorsichtig näherte er sich seinem Grundstück. Dabei nahm er nicht die Straße, sondern den schmalen Fahrweg, der hinten am Garten entlangführte.
Ein Klappern brachte ihn dazu, die Taschenlampe einzuschalten. Zwischen zwei Mülltonnen, die für die morgendliche Leerung bereitgestellt waren, lugte ein ans Stadtleben angepasstes Opossum hervor. Seine Nase zuckte wie die einer großen, bleichgesichtigen Ratte.
Kopfschüttelnd knipste Mitch die Lampe aus und ging auf seine Garage zu. Durch das Zauntor daneben, das nie verschlossen war, gelangte er ungehindert in den Garten.
Seine Hausschlüssel hatte man ihm ja zusammen mit seinem Portemonnaie und allem anderen, was in seinen Taschen gesteckt hatte, in Campbells Bibliothek abgenommen, aber das war ausnahmsweise kein Problem. Unten an der Garagenwand hatte er, verborgen hinter Azaleenbüschen, einen kleinen Schlüsselsafe befestigt.
Wieder riskierte Mitch es, die Taschenlampe anzuschalten, schirmte das Licht jedoch gut mit einer Hand ab. Er bog die Azaleenzweige auseinander, um den Safe zu finden und die Kombination einzutippen. Geschafft! Sobald er den Schlüssel herausgenommen hatte, knipste er das Licht wieder aus.
Ohne ein Geräusch zu machen, sperrte er die Seitentür der Garage auf, deren Schloss denselben Zylinder wie die Haustüren hatte, und schlüpfte hinein.
Der Mond war nach Westen gewandert, sodass kaum Licht durch die Bäume ringsum drang. Mitch
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