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Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi

Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi

Titel: Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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der
nächsten fünf Tage zu Ende bringen kann.« Während sie zur Tür ging, drehte sich
meine Mutter noch einmal um und ergänzte: »Der Mensch ist so gestrickt, dass er
vor seinem Tod alles erledigt haben möchte.«
    Dann hörte ich sie
die Tür öffnen und leise mit jemandem reden. Ein warmes Lachen erklang, als
sich die Stimmen dem Wohnzimmer näherten.
    Auf meiner
Heimfahrt nach Münster war ich so aufgewühlt, dass ich mit siebzig
Stundenkilometern dahinfuhr, egal, ob Ortschaft oder freie Landstraße, so als
hätte ich eine Automatik eingeschaltet. Das halbe Hähnchen mit Kräuterbaguette
in meinem Magen verstärkte eine gewisse körperliche Trägheit. Meine
Todesahnungen schlugen mir jedenfalls nicht auf den Appetit.
    Ich stellte mir
vor, was wohl mein Vater zu diesem Harald Schlieman gesagt hätte: gut drei
Jahre jünger als Mutter, die Haare so lang, als hätte er eine Modelkarriere
verpasst, dazu ein Goldkettchen um den kräftigen Hals und ein unmögliches rotes
Hemd, das allein schon alles über seine Absichten aussagte. Und außerdem, seit
wann steht deine Mutter auf Dicke?
    Auf mich hingegen
wirkte Harald wie ein aktiver Mann Mitte sechzig, dem man Freude am Genuss
ansehen konnte, einschließlich einer gut gebräunten Haut, was aber in keiner
Weise unangenehm war. Das bordeauxrote Hemd stand ihm ausgezeichnet, seine
grau-schwarzen Haare waren immerhin noch so üppig, dass er sie etwas länger
tragen durfte, und die Goldkette an seinem Hals verriet einen gewissen Glauben,
denn daran hing ein kleines Kreuz, das sehr alt wirkte.
    Ansonsten war mir
Herr Schlieman mit einer unaufdringlichen Freundlichkeit begegnet und ganz und
gar unbeeindruckt durch die neugierigen Blicke und Fragen eines überraschten
Sohnes.
    Beim Hinausgehen
hatte ich die Tasche und den Koffer des Herrn sehr wohl bemerkt. Herr Schlieman
würde die Nacht bei meiner Mutter verbringen, um dann morgen früh gemeinsam mit
ihr zum Flughafen nach Dortmund zu fahren. Eigentlich machten die beiden alles
richtig.
    Haben Sie schon
jemals den Wunsch verspürt, mit Ihrer Mutter tauschen zu können? Das ist
wahrlich bitter!
    Am übernächsten
Sonntag war ich mit meiner Mutter bei einem Italiener in Rinkerode verabredet.
Hätte ich ihr sagen sollen: »Tut mir leid, Mama, dann werde ich schon tot sein,
aber trink ein Glas auf meinen Seelenfrieden?«
    Jetzt musste ich
mir wohl ein längerfristiges Projekt suchen, um dem Tod ein Schnippchen zu
schlagen. Als ich bei Rot über eine Ampel fuhr und ein Autofahrer hupend und
wild gestikulierend mitten auf der Kreuzung halten musste, entschloss ich mich,
die Kontrolle über mein Auto wieder selbst zu übernehmen, um nicht noch andere
Leute in den Tod zu reißen. Schließlich parkte ich meinen Audi in Münster am
Straßenrand und schloss meine Haustür auf.
    Meine Wohnung
befand sich in der obersten Etage eines Vier-Familien-Hauses, und diese Lage
bescherte mir eine Dachterrasse mit einer schönen Aussicht auf die Kreuzkirche – schön zumindest dann, wenn man darunter nicht nur eine unverbaute Kulisse aus
Wiese und Tal verstand. Im Treppenflur ertappte ich mich dabei, die Stufen zu
zählen wie ein Arthrosekranker, während ich mich fragte, wie viele Stufen ich
in meinem Leben noch schaffen würde.
    Als ich oben
ankam, stieß ich einen erschrockenen Schrei aus und wäre den letzten Absatz
beinahe wieder rückwärts hinuntergestürzt. Vor meiner Tür saß eine
zusammengekauerte Gestalt. Weiblich, wie ich anhand der Frisur und der Schuhe
zu erkennen glaubte. Allerdings war mein Bedarf an fremden Frauen aus
verständlichen Gründen derzeit sehr begrenzt.
    Ich überlegte, wie
hoch meine Chancen waren, unbemerkt in meine Wohnung zu gelangen, ohne dass das
offensichtlich schlafende Geschöpf nach mir greifen konnte. Doch als ich näher
schlich, kam ich mir unehrenhaft vor. Schließlich hatte diese Frau mit einer
ermüdenden Ausdauer auf mich gewartet und befand sich vielleicht in einer
Notlage. Vorsichtig berührte ich ihren Arm und drückte leicht dagegen. Der
dunkle Haarschopf bewegte sich, und ich schaute in ein Paar grauer Augen mit
dichten, aber kurzen Wimpern. Diese Wimpern gaben den Augen etwas
Sternenförmiges, ließen sie auf geheimnisvolle und melancholische Weise
strahlen. Der Blick erinnerte mich an die Tochter meiner Nachbarin, ein
zehnjähriges Mädchen. Als ihr kleines Kaninchen plötzlich tot im Stall lag,
nahm sie es in die Arme und baute sich vor uns Erwachsenen auf. Ein Blick
voller Vorwurf, weil

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