Todsünde (German Edition)
Jess.“
„Hey Lindsay. Geht es dir gut? Ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen und gestern Abend hast du mich einfach sitzen lassen.“
„Hast du denn meine SMS nicht erhalten, in der ich geschrieben habe, dass ich nicht komme?“
„Doch schon, aber wieso rufst du denn nicht mal zurück?“ Jess klang besorgt. Und ein wenig beleidigt.
„Tut mir leid, aber mir geht es zurzeit nicht so besonders, ich wollte mit niemandem reden.“
„Nicht einmal mit mir?“, fragte Jess verständnislos.
„Sei nicht böse, ja? Können wir vielleicht ein anderes Mal telefonieren? Tommy hat sich verletzt, ich muss ihn verarzten.“
„Ich habe schon gehört, was passiert ist.“
Jetzt bekam Lindsay große Ohren. „Was genau hast du gehört?“
„Na, dass Tommy Robert zusammengeschlagen hat, mitten in der Nacht. Ohne jede Vorwarnung.“
„Wo hast du das her?“
„Das erzählt man sich so.“
„Das ist vor nicht einmal zwölf Stunden passiert. Wie kann das jetzt schon die Runde gemacht haben?“
Jess ging nicht weiter darauf ein. „Was ist der Grund dafür gewesen?“, fragte sie, und sie hörte sich fast ein wenig ängstlich an.
Lindsay dachte nach. Sollte sie Jess die Wahrheit sagen? „Jess, ich will nicht am Telefon darüber sprechen. Vielleicht können wir uns die Tage mal sehen und reden, ja?“
„Okay.“ Jess machte eine kleine Pause. „Und Lindsay?“
„Ja?“
„Du weißt, dass du meine beste Freundin bist und dass ich dich lieb hab, oder?“
Lindsay lächelte. „Na klar. Ich hab dich auch lieb.“
Sie legten auf und Lindsay machte sich daran, Tommys wunde Knöchel zu verbinden. Sie musste unbedingt zu Robert, sehen, wie schlimm es wirklich war. Doch noch war sie zu wütend. Vielleicht würde sie morgen einmal bei ihm vorbeischauen, wenn er sie überhaupt noch sehen wollte.
***
Nachmittags machte Tommy trotz Schmerzen einen Besuch bei ihrer gemeinsamen Mutter. Er kümmerte sich einfach rührend um sie, da durfte kein sonntäglicher Besuch ausfallen.
Martha Scott hatte vor einigen Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, einen schweren Schlaganfall erlitten. Sie saß seitdem im Rollstuhl, eine Hälfte ihres Körpers war taub, wie gelähmt. Sie hatte das Sprechen verlernt und starrte den ganzen Tag nur vor sich hin.
Man konnte von Glück sagen, dass Lindsays und Tommys Eltern ihr Leben lang hart gearbeitet und in die richtigen Aktien investiert hatten, und sich so einiges zuammengespart hatten. Denn so konnte Martha in ihrem eigenen Haus im Stadtteil Queens bleiben, wo sie von Pflegern rund um die Uhr versorgt wurde.
Drei Pfleger in jeweils achtstündigen Schichten versuchten, ihr das Leben trotz allem lebenswert zu machen: Molly, Seth und Karen. Sie gehörten inzwischen fast schon zur Familie und Lindsay bedachte sie an Feiertagen mit Geschenken wie alle anderen ihr lieb gewonnenen Personen auch.
Lindsay war also allein zu Haus, denn so gern sie ihre Mom auch hatte, wollte sie doch heute noch zu Hause bleiben und sich in ihrem Selbstmitleid suhlen.
Sie hatte es sich mal wieder vor dem Fernseher bequem gemacht – mit einer großen Packung Schokoladeneis, als es an der Tür klingelte.
Widerwillig ging sie aufmachen.
Jess stand vor ihr, in einem schwarzen Kostüm, 10-Zentimeter-High-Heels und mit einer Tüte Schokoladennachschub in der Hand: Hershey`s Kisses, M&M`s und Reese`s Peanut Butter Cups. „Du weißt genau, wie du mich kriegst, oder?“ Lindsay lächelte ein müdes Lächeln.
„ Du siehst ja schlimm aus!“, stellte Jess fest. Jess war immer perfekt gestylt, da konnte es ihr noch so schlecht gehen. Sie hatte langes, wunderschönes blondes Haar und trug immer Pumps, egal, bei welchem Wetter.
„Danke!“
„So war das doch nicht gemeint. Nun sag mal ehrlich, was ist los?“
„Komm erst mal rein, dann erzähle ich es dir.“
Sie setzen sich aufs Sofa und Lindsay schaltete den Fernseher um, die Talkshow-Folge kannte sie schon. Sie zappte hin und her und blieb bei einer Kochsendung stehen. Es wurde Huhn Masala gekocht, und eine Kirsch-Sahne-Torte gebacken. Da fehlt aber Schokolade, dachte Lindsay. Dann wandte sie sich Richtung Jess, die sie gespannt ansah. Irgendwie zu gespannt, als wollte sie unbedingt so schnell wie möglich erfahren, worum es ging. Heiß auf neuen Tratsch. Deshalb wollte Lindsay ihr nicht zu viel erzählen. Nicht, dass das dann auch gleich „die Runde“ machte.
„Ich habe dir doch damals erzählt, was Robert sich geleistet hat ...“, begann Lindsay.
Jess
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