Todtstelzers Schicksal
letztlich siegte und Diana verschwand und nie
wieder gesehen oder erwähnt wurde. Wir alle könnten leuchten
wie die Sonne, schrieb sie.
Sie glaubte weiterhin daran. Sogar nach all den Gräueln und
Tragödien, die sie erlebt hatte, glaubte sie immer noch daran.
Sie durchquerte das Unterhirn und drang weiter in den Untergeist vor. Nur wenige Menschen wussten vom Unterhirn,
und es waren noch weniger, die einen Begriff vom Untergeist
hatten. Vor allem deshalb, weil der Untergeist nur durch das
Unterhirn erreichbar war. Es war ein gewaltiger, ehrfurchtgebietender, prachtvoller Ort, und nicht jeder überlebte es, der
ihm begegnete. Der Untergeist bildete das kollektive Unterbewusstsein der ganzen Menschheit. Die Traumzeit. Das Speziesgedächtnis. Den Kern der menschlichen Existenz. Soweit
Diana wusste, hatte der Untergeist weder eine konkrete Persönlichkeit, noch verfolgte er konkrete Ziele, wie es die Mater
Mundi tat. Er existierte einfach nur, als Ort, der keine Koordinaten hatte, wo aller Geist zusammenfand – das große träumende Unbewusste, aus dem sich alles menschliche Denken
herleitete.
Oder vielleicht war es nichts von alldem. Diana bereiste diese
Regionen lediglich als Forscherin, und was sie sah, wurde
durch ihr eigenes bewusstes Denken gefiltert.
Sie erblickte das kollektive Unbewusste als großen Ozean.
Das Meer der Träume. Das Wasser, in dem wir neun Monate
lang schwimmen, ehe wir geboren werden. Der Ort, aus dem
uns Träume und Ideen und Inspiration zuteil werden. Ein Ozean, so groß wie die Welt, größer als alle Welten. Diana musste
vorsichtig sein, was diese Vorstellungen anging. Ihr Verstand
interpretierte das, was dort existierte, in Begriffen, mit denen
sie etwas anfangen konnte. Wenn sie dem Verstand erlaubte,
darüber hinaus zu treiben, würde sie jede Kontrolle über die
Situation verlieren. Sie konnte sich für immer hier verlieren,
fortgetragen von unbekannten Gezeiten, sodass ihre Gedanken
für immer als kreischende Phantome durch anderer Menschen
Träume schwebten. Für diese Region existierten keine Karten,
keine Grenzen und keine Beschränkungen. Vorsicht, wilde Tiere!
Sie stand auf einer kleinen Insel, einem steinharten Grund
aus bewusster Absicht und Gewissheit. Wellen leckten bedächtig daran, murmelten in vielen Stimmen. Diana hatte sich in
ihrer alten Gestalt als Johana Wahn manifestiert, komplett mit
stachelbewehrter Stahlrüstung und einer so riesigen Schusswaffe, dass sie sie in der wachen Welt nicht hätte anheben können.
Diese Waffe repräsentierte ihre Macht. Sie hoffte, dass sie sie
nicht benutzen musste.
Schatten und Farben prägten den Himmel, zogen dahin wie
Albträume, wie sie ein Regenbogen haben mochte. Es waren
streunende Gedanken, wie sie durch die Köpfe von Menschen
zogen. Manchmal bildeten die Farben erkennbare Formen und
Bilder und stellten Dinge dar, die das Denken der Menschheit
mit Sorge oder Faszination erfüllten. Die felsigen Riffe des
Zeitgeistes. Bei ihrem Anblick bekam Diana Kopfschmerzen,
also richtete sie den Blick lieber auf die friedlichen Wasser
rings um ihre Insel. Auch darin bewegten sich Dinge, riesige
Formen, die langsam durch die Traumgewässer schwammen.
Die gemeinsamen Ideen, Glaubenssätze und Zwangsvorstellungen der Menschheitskultur. Menschen erzeugten und verbreiteten sie, und dann gewannen sie Macht über andere Personen. Bestimmte Dinge satteln die Menschen und reiten sie, und
wir nehmen auch noch das Mundstück zwischen die Zähne.
Das kollektive Unbewusste der Menschheit. Man hatte es als
globales Bewusstsein bezeichnet, ehe wir zu den Sternen flogen und uns auf so vielen Welten ausbreiteten. Man konnte im
Meer der Träume fischen gehen und alles an die Angel bekommen. Einfach alles. Das kollektive Unbewusste ist voller
Archetypen, perfekter Manifestationen kultureller Begriffe
oder Faszinationen. Der weise Alte, die mystische Jungfrau,
der König mit einer Wunde, die nicht heilen möchte. Man
konnte interessante Gespräche mit ihnen führen, solange man
sich darüber im Klaren war, dass ihre Worte nur in der Welt
der Träume und Fantasien Sinn ergaben. Ihre Wahrheiten waren zu groß für die wache Welt. Und da dies das Meer der
Träume war, hausten darin auch schreckliche Dinge. Grauenhaftes von der Art, wie sie nur in Albträumen existieren kann.
Jeder weiß, dass in Träumen Dinge erscheinen, die einen erwischen, wenn man nicht vorher aufwacht. Und im Untergeist
gibt es kein
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