Todtstelzers Schicksal
Träumen der
Empfänger sprach und keinen Widerspruch duldete, waren ihre
Freunde und Bundesgenossen herbeigeeilt.
Die erste war Investigator Topas von Nebelwelt , und sie
stand vor Diana in einer silbernen Plattenrüstung, ziseliert mit
Raureif. Ihr Gesicht war totenbleich, und das Haar bestand aus
dicken Eisringeln. Das Langschwert in ihrer Hand dampfte vor
Kälte. Die Schneekönigin, die Eisprinzessin, die unerbittliche
Kälte, die auch den härtesten Geist brechen, das härteste Metall
zertrümmern kann. Topas war einst ebenfalls eine Manifestation der Mater Mundi gewesen, aber wie Diana hatte sie sich
freigekämpft und war eine eigenständige Persönlichkeit geworden. Ausdruckslos musterte sie die Archetypen, die am
gegenüberliegenden Rand der Insel zusammenstanden, und
richtete dann den eisigen Blick auf Diana.
»Was tue ich hier? Träume ich? Ich entsinne mich, dass ich
mich schlafen gelegt habe …«
»Hierher geht Ihr in Euren Träumen«, sagte Diana. »Trotzdem ist das, was hier geschieht, ausreichend real. Hiesige Ereignisse zeitigen Auswirkungen in der wachen Welt. Die Missgeburten dort drüben repräsentieren die Mater Mundi . Sie
möchten uns töten und die ganze Menschheit versklaven. Werdet Ihr mir gegen sie beistehen?«
Der Investigator lächelte und zeigte dabei Zähne, die weiß
wie Frost waren. »Habt Ihr je davon gehört, ich wäre vor einem
guten Kampf zurückgeschreckt? Ich spüre die Gefahr, die hier
besteht, Vertue. Ich spüre, was auf dem Spiel steht und wofür
wir kämpfen. Aber wir sollten lieber noch ein paar mehr werden, oder es wird ein kurzer und sehr einseitiger Kampf.«
»Macht Euch keine Sorgen«, sagte Diana. »Das Meer der
Träume reicht überallhin. Noch weitere Menschen werden
meinen Ruf vernommen haben.«
Und einer nach dem anderen erschienen Personen aus dem
Nichts, sanken durch ihre Träume in den Untergeist hinab –
weitere Menschen, die schon den gerechten Kampf um die Seele der Menschheit ausgefochten hatten. Weitere, für die das
Unterhirn und die dort verborgene Macht nicht fremd waren.
Einer nach dem anderen erschienen sie auf der Insel, jeder in
dem Bild, das er von sich selbst hatte. Typhus-Marie erhob sich
mit totem Gesicht und besorgt blickenden Augen aus dem Boden, gekleidet in ein verrottendes, schmutziges Leichenhemd.
Die Schädel toter Kinder hingen an ihrem Gürtel, und von ihren Händen tropfte Blut. Ihr Herz leuchtete jedoch rein, und sie
brannte vor Bedürfnis nach Sühne.
Als nächster tauchte Tobias Mond auf, schritt aus dem Meer
hervor auf die Insel und zeigte dabei ein sanftes Lächeln. Er
war wieder ganz Mensch, hatte nichts mehr von einem Hadenmann an sich. Scharlachrotes Laubwerk rankte sich um ihn,
lebendig und bewusst. Kapitän Schwejksam und der Verräter
Carrion erschienen gemeinsam aus dem Nichts. Schwejksam
trug eine altmodische Rüstung, von Rost gezeichnet, und führte
einen Schild, dessen ursprüngliches Wappen kaum mehr zu
erkennen war. Er wirkte älter als sonst, und seine Augen blickten müde und traurig. Carrion sah genauso aus wie immer. Er
wusste, wer er war. Eine lange, dünne Kette verband sein
Handgelenk mit dem Schwejksams.
Und schließlich schwebte über ihnen noch gelassen die Elfengestalt, so als brauchte sie nicht die Illusion festen Grundes.
Eine Stadt voller individueller Bewusstseinseinheiten, personifiziert in der Gestalt, die sie am meisten bewunderten. In ihrer
vertrauten Kluft, ganz aus Leder und Ketten und Farben: Stevie
Blue.
Eine Macht baute sich allmählich auf, in ihnen und in ihrer
Umgebung, kleidete sie in Kraft und Herrschaft, wie sie sie
getrennt nie hätten ausüben können. Die gemeinsame Absicht
knisterte scharf und machtvoll zwischen ihnen in der Luft.
Trotzdem wussten sie alle, dass auch ihr gemeinschaftlicher
Wille nicht reichen würde, um dem kollektiven Unbewussten
aller Esper des Imperiums standzuhalten. Diana blickte sich
um, nahm all die Menschen in Augenschein, berührt von Kräften, die größer waren als sie selbst, hinausgetragen über die
Grenzen des bloßen Menschseins, und mit sinkendem Mut
wurde ihr klar, dass manche Risiken einfach zu groß waren, um
sie bezwingen zu können. Um Zeit zu erkaufen, wandte sie sich
direkt an die Archetypen der Mater Mundi .
»Warum habt ihr euch die Mühe gemacht, Manifestationen
für eure Macht zu wählen? Warum habt ihr Menschen transformiert, obwohl ihr damit rechnen musstet, dass sie wahnsinnig werden und
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