Todtstelzers Schicksal
werdet?«
»Natürlich werde ich sie vermissen! Ruby war meine älteste
Freundin. Sie hat an mich geglaubt, als es sonst niemand tat,
nicht mal ich selbst. Sie hat immer gewusst, dass wir Bedeutung hatten, dass wir für Großes bestimmt waren … Du hast sie
immer nur als Kopfgeldjägerin und Killerin erlebt. Ich kannte
sie schon, als sie noch so viel mehr war als das. Du hast nie
geahnt, was sie verloren, was sie aufgegeben hatte, als sie zu
der wurde, die du kanntest. Ihr ganzes Leben war eine Tragödie, die nur auf ein schlimmes und bitteres Ende wartete. Ich
hätte jedoch nie erwartet, dass sie so jung stirbt … und das von
der Hand des einzigen Mannes, den sie je geliebt hat.«
»Jakob Ohnesorg war stets einer meiner Helden«, sagte
Owen. »Wenn man Geschichte studiert, verliert man rasch seine Illusionen über die meisten Helden und Legenden, aber Jakob hat wirklich die meisten Dinge vollbracht, die man ihm
zuschrieb. Und sogar nachdem man ihn gebrochen hatte und er
als ein Niemand auf Nebelwelt in Sicherheit lebte, fand er doch
wieder die Kraft, sich als legendärer Held neu zu erschaffen
und erneut sein Leben und seinen Verstand zu riskieren, weil er
für die Sache gebraucht wurde. Und weil ich ihn darum bat. Ich
bin verantwortlich für alles, was aus ihm wurde und was er tat.
Das Gute und das Böse.«
»Das ist jetzt mal wieder typisch für dich, Todtsteltzer«, fand
Hazel, die sich schließlich doch umdrehte und ihn ansah. »Du
versuchst mal wieder, aller Welt Last zu schultern. Jakob Ohnesorg war selbst für sein Leben verantwortlich und am Ende
für seinen Wahnsinn. Ruby ebenfalls. Was sie auch getan haben und welches Ende sie auch gefunden haben, es war ihre
eigene Wahl und ihr eigener Wille. Genau wie bei uns, wenn
unsere Zeit kommt. Etwas anderes zu glauben, das macht sie
kleiner, und uns ebenfalls.«
Owen sah sie an. »Unsere Zeit? Hattet Ihr wieder Träume
von der Zukunft? Erwartet uns hier etwas, wovon ich erfahren
sollte?«
»Nein«, entgegnete Hazel entschieden. »Wir müssen uns
schon über genug echte Gefahren Gedanken machen, ohne
auch noch meine Träume ins Spiel zu bringen. Mach dich zur
Abwechslung mal nützlich; sieh mal nach, ob du den Wolfling
da unten munter machen kannst. Hier im Orbit sind wir ziemlich verwundbar, falls irgendwelche Neugeschaffenen in der Dunkelwüste zurückgeblieben sind.«
Owen nickte und wandte sich der Funkanlage zu. Hazel sah
ihm finster zu und fragte sich, warum es ihr so widerstrebte,
ihm von dem Traum über ihre Zukunft zu erzählen, den sie
einmal geträumt hatte. Davon, wie sie allein auf der Brücke der Sonnenschreiter II stand, während ringsherum die Hölle ausbrach. Gewaltige Streitmächte von Fremdwesen griffen von
allen Seiten an, seltsame Schiffe und schreckliche Kreaturen
ohne Zahl, auf die wache Welt losgelassene Albträume, die die Sonnenschreiter II ungeachtet ihrer Schutzschirme und Abwehrwaffen in Stücke pusteten. Brände tobten im ganzen
Schiff; Alarmsirenen heulten endlos, und die Schiffsgeschütze
feuerten in einem fort. Unter Hazel die Wolflingswelt . Und nirgendwo eine Spur von Owen.
Jetzt war sie schließlich auf dem Schauplatz ihres Traumes
eingetroffen, auch wenn die Einzelheiten nicht mehr stimmten.
Die Sonnenschreiter II war zerstört, auf der Leprawelt Lachrymae Christi abgestürzt. Von diesem Schiff war nur der einzigartige Hyperraumantrieb übrig geblieben und in ein entführtes Kirchenschiff eingebaut worden. Das neue Schiff, die Sonnenschreiter III , verfügte nicht mal über Geschütze. Also konnte sich der Traum jetzt nicht mehr erfüllen. Hazel war sicher
vor dem überwältigenden Schrecken, den sie darin verspürt
hatte, vor dem schrecklichen und unausweichlichen Untergang,
den sie über sich kommen gespürt hatte. Und keine Spur von
Owen … Der Traum war jetzt eindeutig als solcher zu erkennen. Deshalb schwieg sie darüber; zumindest redete sie sich
das ein. Trotzdem lag die Wolflingswelt kalt und schweigsam
unter dem Schiff wie ein blasser, gespenstischer Herold, der
von üblen Dingen kündete.
Wir sind die letzten Überlebenden des Labyrinths, dachte sie
müde. Die Letzten der großen Rebellenführer. Und vielleicht
auch die letzte Hoffnung der Menschheit. Warum senkt sich die
Last der Bestimmung immer am schwersten auf die Schultern
derjenigen, die sich dem am wenigsten gewachsen fühlen?
Sie blickte sich plötzlich um, als sich eine vertraute Stimme
vom Monitor meldete, und
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