Töchter der Sechs (German Edition)
Noch bevor sie ihn mit Fragen bestürmen konnte, erzählte er von seinem Zusammentreffen mit dem Prinzen. Aus der Erzählung schloss Zada, dass der Prinz von einem ganz anderen Wesen war als sein Vater. Hoffnung keimte in ihr auf. Sie konnte es kaum erwarten, den Prinzen am nächsten Tag zu treffen. Auch Darija strahlte ob der guten Neuigkeiten. Zum ersten Mal seit Tagen war das Abendessen eine fröhliche Runde mit belanglosen Plaudereien und auch Scherzen.
Jahr 3619 Mond 11 Tag 1
Palast in Heet
Er sah gar nicht aus wie ein Prinz. Darija betrachtete den jungen Mann, der gerade den Salon betreten hatte, genau. Seine Kleidung war schlicht und von zurückhaltender Farbgebung, es fehlten jedweder Schmuck und Verzierungen. Das Äußere des Prinzen glich dem Zadas. Sein Haar und seine Augen waren von dem gleichen Braun und seine Haut hatte denselben olivfarbenen Unterton wie Zadas. Er wirkte ebenso feingliedrig, auch wenn sich durch das eng anliegende Hemd die Armmuskeln deutlich abzeichneten. Von der Größe her war er Mawen ebenbürtig. Ohne Zweifel war er ein attraktiver Mann.
Das wirklich Beeindruckende aber war, dass der Prinz es gänzlich an herrschaftlichem Gehabe fehlen ließ. Seine Worte und Gesten waren von ausgesuchter Höflichkeit und er behandelte sie als ebenbürtig. Er schien die Vorbehalte seines Vaters Frauen gegenüber in keiner Weise zu teilen. Das Gespräch mit ihm war angenehm ungezwungen. Sie redeten über Cytria und Helwa, über die Götter und über die Mission, die sie nach Helwa geführt hatte. Der Prinz war aufgeschlossen und neugierig, verurteilte weder den Glauben an die Götter, noch tat er die Legende vom Goldenen Zeitalter als Ammenmärchen ab. Zu Beginn hatte Darija kurz überlegt, ob die Freundlichkeit ein Trick sei, um ihr Vertrauen zu gewinnen und ihnen Geheimnisse zu entlocken, doch jedes Wort und jede Geste des Prinzen unterstrich seine ehrbaren Absichten. Er wollte von ihnen lernen und ihnen helfen.
Der Prinz blieb den ganzen Tag, und als er sich am Abend verabschiedete, so war sich Darija sicher, dass sie einen Freund gefunden hatten. Zum Abschied hatte Prinz Elec versprochen, sein Möglichstes zu tun, um ihnen ihre Freiheit wiederzugeben. Er würde sich darüber Gedanken machen und sie am nächsten Tag wieder besuchen. Am Abend sprach Zada ein Dankgebet. Prinz Elec war die Rettung, um die sie die Götter angefleht hatte. Hoffentlich hielt er seine Versprechen.
Das Gespräch mit dem Prinzen hatte ihnen mehr Erkenntnisse über Helwa eingebracht als die ganzen acht vorangegangenen Tage. Über den Tag verteilt hatte sich Mawen immer wieder Notizen gemacht, die er nun nochmals durchsah und ordnete. Dankenswerterweise hatte ihm der Prinz sogar neues Pergament mitgebracht, da Mawens mitgebrachter Vorrat sich dem Ende zuneigte. Es war Mawen also möglich, eine ordentliche Abschrift seiner Notizen zu verfassen. Da er die Fakten über Helwa nun rekapitulierte, bekam das düstere Bild neue Intensität. Auch wenn sich der Prinz mit offener Kritik an der Regierung seines Vaters zurückgehalten hatte, so hatte er den Eindruck bestätigt, der sich Mawen von Anfang an aufgedrängt hatte: Das Volk litt unter der strengen Hand des Königs. Die Abgaben waren hoch, die Strafen für die kleinsten Vergehen hart. Frauen wurden unterdrückt, Dienstboten ausgebeutet. Es gab nur eine kleine Gruppe von hohen Beamten und reichen Händlern, die am Wohlstand teilhaben durfte. Der Rest des Volkes arbeitete von früh bis spät, um wenigstens seinen Hunger stillen und seinen Leib in Kleidung hüllen zu können. Wer sich abfällig oder negativ über den König äußerte, wurde verfolgt und bestraft. Hinzu kam, dass das Land nur in wenigen Gebieten wirklich fruchtbar war. Ein Großteil des Landesinneren war Wüste und Steppe, nur an der Küste, in den Bergtälern und an den Flussläufen war Landwirtschaft möglich. Zwar konnte durch das ganzjährig milde Klima zum Teil zwei bis drei Mal im Jahr geerntet werden, dennoch waren Lebensmittel häufig knapp. Das Leben in Helwa war hart und entbehrungsreich. Eine Wiederaufnahme des Handels mit Cytria hätte die Situation zum Besseren wenden können, denn Helwa verfügte über eine reiche Tradition der Glasherstellung. Mittlerweile beherrschten zwar nur noch wenige die Kunst meisterhaft, eine Wiederbelebung war jedoch noch immer möglich. Diese Handelsgüter hätten im Tausch gegen Lebensmittel dem Hunger auf Helwa ein Ende setzen können.
Dass der
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