Töchter der Sechs (German Edition)
hatte sie kaum einen Anhaltspunkt, wo in Helwa diese lebten. Die Erinnerungen ihrer Kindheit enthielten keine Ortsnamen, nur Bilder windumbrauster Klippen. Und sie konnte kaum hoffen, dass jemand im Palast ihre Eltern persönlich kannte. Obgleich es unhöflich war, unterbrach sie Mawens Gespräch mit dem Prinzen, um ihr Anliegen vorzutragen. Der Prinz antwortete ihr prompt: „Da ich Eure Geschichte kenne, habe ich mir schon gedacht, dass Ihr Eure Eltern suchen möchtet. Wer könnte Euch dies verdenken. Ihr sagt, Euer Vater sei Fischer gewesen und Ihr hättet an einer Steilküste gelebt? Das schränkt die Möglichkeiten stärker ein, als Ihr vielleicht glaubt. An der nördlichen Küste gibt es zwar zahlreiche Felsen, aber das Meer ist nahezu fischfrei. An der Ost- und der Südküste ist das Land flach. Lediglich an der Westküste gibt es Klippen, an denen kleinere Fischersiedlungen liegen. Sollten Eure Eltern noch immer dort wohnen, so werden wir sie sicher finden.“
„Danke, Prinz Elec.“
Der Prinz wandte sich an alle: „Da wir nun länger zusammen reisen werden und ich euch als meine Freunde ansehe, möchte ich euch bitten, auf alle Titel und Förmlichkeiten zu verzichten. Also gewöhnt euch dieses 'Prinz' ab.“
Die Angesprochenen nickten.
Jahr 3619 Mond 11 Tag 20
Palast von Heet
Als sie durch das Palasttor traten, war es Zada, als fiele eine große Last von ihrem Herzen. Bis zuletzt hatte sie befürchtet, der König könnte es sich anders überlegen. Nun aber waren sie dem goldenen Käfig entkommen. Die letzten Tage waren ausgefüllt gewesen mit Reisevorbereitungen und Plänen. Sie hatten sich in Begleitung des Prinzen sogar weitgehend frei im Palast bewegen dürfen. Den König hatte sie während der ganzen Zeit nicht noch mal zu Gesicht bekommen und sie war froh darüber. Der Herrscher hatte lediglich Mawen noch einmal sprechen wollen. Dabei war es darum gegangen, dass Mawen ihm nach der Rückkehr als Gelehrter dienen sollte und dass der König daher erwartete, dass er auf der Reise auch wissenschaftliche Erkenntnisse sammelte, die dem König von Nutzen sein konnten.
Im Zuge der Reisevorbereitungen hatten sie auch jene Gegenstände zurückbekommen, die sie an Bord ihres Schiffes gelassen hatten. Durch den Überbringer der Sachen hatten sie auch erfahren, dass das Schiff in den Besitz der Krone übergegangen war und nun von Soldaten genutzt wurde. Darija war anzusehen gewesen, wie schwer sie diese Nachricht traf. Um nicht noch mehr Dinge zu verlieren, nahmen sie alle verbliebenen persönlichen Gegenstände mit auf die Reise, auch wenn manches, wie die nautischen Instrumente, sicher keinen Nutzen bei einer Reise über Land hatte. Da sie in Begleitung des Prinzen reisten, war die Menge an Gepäck aber ohnehin enorm, sodass ihre Sachen kaum ins Gewicht fielen. Nicht weniger als zehn Lasttieren, Ratas genannt, begleiteten sie. Die beiden Soldaten, die der König ihnen zur Seite gestellt hatte, würden wohl die meiste Zeit mit der Versorgung der Tiere verbringen müssen. Ihnen konnte dies nur Recht sein, hatte Prinz Elec dies kommentiert. Je mehr sie zu tun hatten, desto weniger konnten die Soldaten ihren Spitzeldiensten für den König nachkommen. Zada hatte jedoch trotz der flapsigen Art des Prinzen erkennen können, dass ihm der Begleitschutz durchaus Sorgen machte und er gerne auf diesen und einen Großteil des Gepäcks verzichtet hätte. Doch da hatte der König nicht mit sich handeln lassen und darauf verwiesen, dass ein Prinz standesgemäß reisen musste. Zu Zadas Erleichterung schloss dies das Reiten nicht ein. Weder sie noch Mawen oder Darija hatten in Cytria je die Fortbewegung auf dem Rücken eines Malans erlernt und die hier heimischen Reittiere, Lecs, waren noch etwas größer und wilder und ihre schwarze Gestalt hatte Zada Furcht eingeflößt. Elec war gerne bereit gewesen, dem Wunsch der Drei zu entsprechen und zu Fuß zu reisen.
'Freiheit' war ihr erster Gedanke, als sie, Elec und Mawen folgend, ihre Schritte aus dem Tor des Palastes lenkte. Selbst das hässliche graue Häusermeer Heets erschien ihr verlockend und verheißungsvoll. Gerne wäre sie losgerannt, doch der Gedanke an die Soldaten hielt sie zurück. Zweifelsohne würden sie dies als Fluchtversuch werten. Daher beschränkte sie sich darauf, tief einzuatmen und sich auf das Gleichmaß ihrer Schritte zu konzentrieren.
Er ging neben dem Prinzen her, und als sie das äußere Palasttor durchschritten, stahl sich
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