Töchter der Sechs (German Edition)
Veränderungen zulassen.
Jahr 3620 Mond 2 Tag 7
Westspitzen-Gebirge
Obgleich sie den ganzen Tag in Bewegung gewesen waren, hatte Darija nicht den Eindruck, eine nennenswerte Strecke zurückgelegt zu haben. Das Gelände war schwierig, immer wieder hatten sie Felsbrocken nur kletternd überwinden können. Daher hatten sie viel Pausen machen müssen. Besonders Mawen und Zada hatten Probleme mit dem Klettern, beiden fehlte es an Kraft in den Armen. Die nächsten Tage würden nicht einfach für die beiden werden, denn der Weg wurde immer steiler. Darija hingegen genoss die körperliche Anstrengung, sie war des Laufens über flaches Land überdrüssig gewesen. Das Klettern aber beanspruchte alle Muskeln und erforderte auch Konzentration, damit sie nicht abrutschte und den Fels hinab glitt. Es war ein bisschen wie das Bearbeiten von Holz, auch dies erforderte Kraft und mentale Anstrengung.
Abseits sitzend beobachtete er aus dem Augenwinkel Darija, wie sie Holz für ein Feuer zusammensuchte. Sie schien weit weniger erschöpft als der Rest der Gruppe. Das Klettern schien ihr wirklich so leicht zu fallen, wie es aussah. Es war beeindruckend gewesen, wie flink und behände sie jeden Felsen bezwungen hatte. Er selbst war durch seine militärische Ausbildung gut trainiert, aber mit dieser jungen Frau würde er wohl nicht mithalten können. Vor dem heutigen Tag war ihm gar nicht aufgefallen, wie geschmeidig und doch kraftvoll sie sich bewegte. Erneut schaute er zu ihr und erschrak, denn sie starrte ihn an, ihre Blicke trafen sich. Beschämt wendet er sich ab. Er fühlte sich ertappt.
Jahr 3620 Mond 2 Tag 10
Westspitzen-Gebirge
Am Morgen war ihm der Gipfel so nahe erschienen, doch nun, einige Stunden nach dem Aufbruch, zweifelte er daran, ihn jemals zu erreichen. Seine Arme und Beine schmerzten, seine Hände waren übersät von Schürfwunden und seine Kleidung durchnässt von dem Nebel, der ungefähr zwei Stunden nach Tagesanbruch aufgezogen war. Gerne hätte Mawen um eine Pause gebeten, doch wenn er sah, wie leichtfüßig Darija, Elec und der Soldat unterwegs waren und wie tapfer sich selbst die zarte Zada vorkämpfte, wagte er es nicht. Er tröstete sich mit dem Gedanken, den Gipfel bald erreicht zu haben. Wie schon die letzten beiden Tage kamen sie fast nur noch kletternd voran. An besonders schwierigen Stellen sicherten sie einander mit Seilen. Er musste sich stets zwingen, nicht nach unten zu schauen, den die Höhe ließ ihn schwindlig werden. Am Vortag hatte er geglaubt, sich allmählich an die Berge und das Klettern zu gewöhnen, doch sein vor Schmerz brennender Körper belehrte ihn eines Besseren. Plötzlich verriss ein Schrei die Stille. Es war eindeutig Zadas Stimme. War ihr etwas passiert, war sie abgestürzt. Er versuchte, so schnell wie möglich zum Ursprung des Schreis vorzudringen. Elec, der am Schluss der Gruppe geklettert war, schloss zu ihm auf und nach wenigen Minuten hatten sie Zada erreicht. Diese schien wohlauf, war jedoch völlig aufgelöst. Sie zeigte auf eine Felsspalte und stammelte: „Felkan.“
Darija, die wie immer vorweg geklettert war, erreichte den Unfallort kurz nach Mawen und Elec. Als sie erfuhr, dass der Soldat in die Felsspalte gestürzt war, zögerte sie nicht lange. Sie band sich ein Seil um den Körper, dessen Ende sie Elec reichte.
Vorsichtig näherte sie sich der Spalte und schaute hinein. Die Spalte war nicht besonders tief, Darija schätzte, dass es nur knapp zwanzig Fuß waren, aber ihre Wände waren nahezu senkrecht. Gleich oben gab es einen kleinen Vorsprung, den es zu umklettern galt. Am Boden des Spalts lag Felkan, regungslos und anscheinend bewusstlos. Möglicherweise war er auch tot, das konnte sie nicht beurteilen. Bei einem Sturz aus einer solchen Höhe konnte man sich durchaus das Genick brechen. Sie wusste, dass es gefährlich war, in den Spalt hinabzusteigen, auch sie lief Gefahr, abzustürzen. Dennoch sah sie es als ihre Pflicht an, den Soldaten zu retten. Sie bedeutete Elec, er möge das Seil gut festhalten, dann begann sie mit dem Abstieg. Der Fels war bei Weitem nicht so glatt, wie es den Anschein gehabt hatte. Ihre Hände und Füße fanden genug Vorsprünge und Rillen und so gelangte sie ohne größere Anstrengungen zu Felkan. Sie ging neben ihm in die Hocke und prüfte, ob der noch atmete. Der Atem war schwach, aber gleichmäßig. Auf den ersten Blick konnte sie auch keine blutenden Wunden entdecken. Vorsichtig tastete sie den Körper
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