Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
kleinen Schwester ins Wohnzimmer. Sie setzt sich ans Klavier, und kurz darauf gleiten ihre Finger anmutig über die Tasten. Sie ist die Einzige von uns, die geduldig genug ist, wirkliches Geschick zu entwickeln.
Ich streife meine Schuhe ab, lehne mich auf dem cremefarbenen Steppsofa zurück und lasse mich von Tess’ Sonate treiben. Früher spielte Tess beschwingte alte Volksballaden, und Maura begleitete sie auf der Mandoline und sang dazu. Wir schoben die Möbel an die Wände, und Mrs O’Hare kam herein und tanzte mit mir durchs Zimmer. Aber die alten Lieder wurden vor Jahren verboten, genau wie Tanz und Theater und alles, was an die alten Zeiten erinnert, als die Hexen noch an der Macht waren. Die Brüder sind in letzter Zeit immer strenger geworden, und Tanzen ist das Risiko nicht wert.
Tess’ Finger stocken, dann hört sie auf zu spielen. »Bist du immer noch böse auf mich?«, fragt sie.
»Nein. Ja.« Wenn ich ihr keine Disziplin beibringe, wer dann? Vater weiß nichts von unseren magischen Kräften, und er darf es auch nicht herausfinden. Mutter war davon überzeugt, dass er nicht stark genug dafür ist, damit umzugehen. Sie führte seine schwache Brust an, den Husten, der ihn Jahr um Jahr etwas zerbrechlicher erscheinen lässt. Aber es ist mehr als das, auch wenn sie es nicht übers Herz brachte, es auszusprechen. Vater murrt zwar wegen der Zensur der Bruderschaft und versteckt überall im Haus Bücher, aber das ist eine einfache Art der Auflehnung. Ich denke, Mutter glaubte nicht, dass er stark genug wäre, sich gegen die Brüder aufzulehnen, wenn es um etwas geht, das wirklich zählt. Uns zum Beispiel.
Sie hat Vater trotzdem geliebt, aber ich kann ehrlich gesagt nicht verstehen, warum die beiden verheiratet waren.
Ich setze mich auf und ziehe die Knie an die Brust. »Du kannst nicht einfach überall zaubern, wie es dir gefällt, Tess. Das weißt du doch. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustoßen sollte.«
Tess sieht sehr jung aus in ihrem rosafarbenen Kleiderrock, die Haare in zwei geflochtenen Zöpfen, die ihr bis zur Taille gehen. Seit sie zwölf ist, liegt sie mir ständig in den Ohren, dass sie sich die Haare hochstecken und längere Röcke tragen will. Ich schätze, die Gouvernante wird mir raten, es ihr zu erlauben. Ich kann sie nicht daran hindern, älter zu werden. »Ich weiß«, sagt sie. »Ich auch nicht. Wenn dir etwas zustoßen sollte, meine ich.«
Ich sehe zu den Porträts über dem Kamin. Auf einem davon ist Vater mit seinen Eltern zu sehen, als er noch ein Kind war. Zu seinen Füßen liegt ein Labradorwelpe. Daneben hängt ein Gemälde von uns fünf – Vater, Mutter, Maura, Tess und ich. Tess war noch ein Säugling mit blassblondem Haar, das wie Pusteblumen auf ihrem Kopf wuchs. Mutter schaut liebevoll zu ihr herunter, wie eine Madonna wiegt sie das Kind in ihren Armen. Sie hatte zwischen Maura und Tess ein Kind verloren – das erste von fünf, die auf dem Familienfriedhof begraben wurden.
»Diese Gouvernante – sie wird hier wohnen, mit uns essen, uns auf Schritt und Tritt beobachten. Und auch wenn du denkst, dass es irgendjemandem helfen könnte – Vater oder mir oder Maura – «
Tess dreht sich zu mir um und sieht mich an. »Spielst du darauf an, was letzte Woche beim Gottesdienst passiert ist?«
»Nein, aber das ist ein gutes Beispiel.« Als wir letzten Sonntag die Kirche verlassen haben, trat jemand auf Mauras Rock. Ihr Kleid zerriss – genau über der Mitte ihres zugegebenermaßen knappen Mieders – und ihr Unterhemd war zu sehen. Es wäre furchtbar peinlich für sie gewesen, wenn Tess nicht schnell reagiert und lautlos einen Renovo -Zauber gesprochen hätte.
»Maura wäre sehr beschämt gewesen«, argumentiert Tess.
»Ein bisschen öffentliche Erniedrigung hätte sie nicht umgebracht. Wir hätten sie in die Kutsche und außer Sicht gebracht, und ein paar Tage später hätte sich niemand mehr daran erinnert. Aber wenn irgendjemand gesehen hätte, was du getan hast – «
»Die Leute hätten gedacht, es wäre überhaupt gar nicht gerissen gewesen«, entgegnet Tess. »Es ging so schnell. Sie hätten gedacht, dass sie sich verguckt hätten.«
»Hätten sie das?« Ich bin mir da nicht so sicher. »Die Brüder stürzen sich doch auf alles, was nur im Entferntesten nach Magie aussieht . Und sie würden nicht dich verdächtigen , sondern sie würden denken, es wäre Maura gewesen. Du wolltest ihr helfen, ich weiß, aber es hätte auch sehr schlimm ausgehen
Weitere Kostenlose Bücher