Töchter des Mondes, Band 01: Cate (German Edition)
nicht besonders groß, vielleicht gerade mal so groß wie ich, aber von seinem Platz oben auf der Kanzel sieht er bedrohlich auf uns alle herab. Seine Gesichtszüge sind hart, und seine Mundwinkel ständig nach unten gezogen, als ob er schon sein Leben lang finster dreinschauen würde.
»Unterwerfung«, verkündet er. »Ihr müsst euch unserer Führung unterwerfen. Dann wird euch die Bruderschaft auf den richtigen Weg führen und euch rein halten von den Sünden der Welt. Wir wissen, ihr wollt gute Mädchen sein. Wir wissen, es ist bloß weibliche Schwäche, die euch irreführt. Wir vergeben euch dafür.« Seine Stimme ist ganz die des barmherzigen Vaters, aber sein Blick ist voller Verachtung. »Wir werden euch vor eurer eigenen Disziplinlosigkeit und Eitelkeit schützen. Ihr müsst euch unserer Führung unterwerfen, so wie wir uns dem Herrn unterwerfen. Ihr müsst uns eure Liebe und euer Vertrauen schenken, so wie wir unsere dem Herrn schenken.«
Maura und ich werfen uns spöttische Blicke zu. Liebe und Vertrauen, wahrhaftig. Damals, zu Urgroßmutters Zeiten, hat die Bruderschaft Mädchen wie uns verbrannt. Wir sind sicherlich nicht ohne Fehler – aber die Brüder sind es auch nicht.
»Wir werden euch niemals in Versuchung führen. Im Gegenteil, wir werden alles tun, um euch von Sünde fernzuhalten. Als die Hexen noch an der Macht waren, haben sie Mädchen nicht darin bestärkt, ihren rechtmäßigen Platz im Haus einzunehmen. Sie haben nichts dafür getan, die Tugend der Mädchen zu schützen. Es gab Frauen, die sich benahmen wie Männer – sich unanständig kleideten, Geschäfte führten, sogar auf die Ehe verzichteten, um in unnatürlichen Bünden mit anderen Frauen zu leben.« Bruder Ishida erlaubt sich ein angeekeltes Schaudern. »Und wegen ihrer Sündhaftigkeit sind sie gestürzt worden. Es war der Wille des Herrn, dass die Brüder ihren Platz als die rechtmäßigen Herrscher Neuenglands eingenommen haben.«
Ich starre auf die Kirchenbank vor mir und die blonden Locken, die Elinor Evans’ Nacken hinunterfallen. Ob es stimmt, was er sagt? Vor fast einhundertzwanzig Jahren,1780 , hat der Pöbel, aufgehetzt durch Reden von Bruder William Richmond, alle Tempel entlang der Küste niedergebrannt – meist mit den Hexen noch darin. Und letztendlich war die Magie der verbliebenen Hexen nicht mehr stark genug, um die Untertanen zu bändigen – die Hexen waren zahlenmäßig absolut unterlegen. Der Große Tempel der Töchter der Persephone in New London war der letzte, der fiel. Die meisten Hexen wurden damals ermordet. Die wenigen, die es überlebten, tauchten unter.
Bruder Ishida erhebt seine Stimme, sein Gesicht läuft ganz rot an, und die schwarzen Knopfaugen glänzen. »Unsere Regeln sind gemacht, um euch vor euch selbst zu schützen . Die Hexen waren eigensinnig und wollüstig. Perversionen dessen, wie Frauen sein sollten. Der Herr möge uns beistehen, falls sie jemals wieder an Macht gewinnen! Wir dürfen niemals vergessen, welche Sünden sie begingen – wie sie unsere Mädchen verdarben und wie sie bei ihren Gegnern Gedankenmagie anwendeten. Diese Frauen haben ihre Feinde als leere Hüllen zurückgelassen.«
Ich kann mich über vieles von dem, was Bruder Ishida predigt, lustig machen – und tue es auch – , aber was diesen schlimmen Teil der Geschichte angeht, dem kann ich leider nichts entgegenhalten. Mutter hat mir bestätigt, dass es stimmt. Als die ersten Mitglieder der Bruderschaft auf der Suche nach Religionsfreiheit nach Amerika kamen, war es ihnen erlaubt, in Frieden ihren Glauben zu praktizieren. Aber als ihre Zahl zunahm, fingen sie und ihre Anhänger an, sich gegen die Hexen auszusprechen, und sie wurden systematisch durch Gedankenmagie gezwungen, ihre Einwände zu vergessen. Als die Hexen schließlich die Macht verloren hatten, entdeckten die Brüder Irrenhäuser, die voll waren mit Feinden der Hexen. Die Insassen litten unter schweren psychischen Störungen und benahmen sich teilweise wie Kleinkinder.
Elinor Evans schaudert und hebt die Hand. Sie ist ein molliges, friedfertiges Mädchen von dreizehn Jahren und Tochter des Chocolatiers. »Können wir die Anzeichen der Gedankenmagie noch einmal wiederholen, Sir?«
Bruder Ishida lächelt. Gedankenmagie ist so selten wie ein weißer Rabe, aber die Brüder machen uns gerne Angst damit. »Selbstverständlich können wir das. Kopfschmerzen. Das Gefühl, dass jemand an deinen Haaren zieht, nur von innen. Und deine Erinnerung wird ganz
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