Töchter des Schweigens
Geistesblitz. Es ist eine so lustige, originelle Idee und, wenn es klappt, von so durchschlagender Wirkung, dass Mati vor Begeisterung minutenlang wie erstarrt ist.
Die sieben Freundinnen schäumen vor Wut, hassen die Männer und haben das dringende Bedürfnis, sich Luft zu machen. Flüchtig geht ihr der Text der Griechischprüfung durch den Kopf und verleiht ihrer Idee eine klassische, tragische Dimension. Die Mänaden.
Wird sie es wagen?
Rasch überschlägt sie die verschiedenen Möglichkeiten. Wenn es hinhaut, hat sie sie für immer in der Hand. Wenn nicht …, was könnte ihr passieren, wenn es schiefgeht? Im Prinzip gar nichts. Es sei denn, der Zorn der Gruppe würde sich gegen sie richten. Doch das lässt sich vermeiden, indem sie in sicherer Entfernung bleibt. Wenn du nicht da bist, brauchst du dich nicht zu verteidigen. Alles hängt von der richtigen Zeitplanung ab, und es bedarf einer gewissen Übung, den Stein ins Rollen zu bringen und rechtzeitig in Deckung zu gehen. Die hat sie. Viele, viele Jahre Übung. Sie wird behaupten, sie würde Don Javier und Doña Marisa holen, obwohl sie nur zu gut weiß, dass die beiden nicht auf ihren Zimmern sind, aber die Mädels werden ihr glauben. Oder, wenn sie Glück hat, nicht einmal hören, was sie sagt.
Das gibt den Ausschlag.
Sie erhebt sich aus ihrem Plastiksessel. Lächelt. Holt tief Luft. Stimmt sich langsam ein, indem sie ihre Miene verändert und ein schockiertes, besorgtes, verängstigtes Gesicht aufsetzt. Sie strafft sich, rennt auf die Mädchen zu und ruft schon von Weitem: »Hilfe! Hilfe! Kommt! Kommt schnell! Reme wird vergewaltigt!«
2007
Teresa wartete unten in der Empfangshalle der Klinik auf die Polizei, und wenngleich sie wusste, was jetzt kam, weil sie es selbst vorgeschlagen hatte, war sie so nervös wie noch nie in ihrem Leben und spürte sogar ein unangenehmes Rumoren in den Eingeweiden.
Sie seufzte mit einer gewissen Erleichterung, als sie sah, dass sich ihre Hoffnung bestätigte und Machado David mitbrachte. Sie begrüßte die beiden mit zwei Wangenküssen und klärte sie im Aufzug kurz über Candelas Gesundheitszustand auf.
»Deshalb konnte sie nicht selbst zu euch kommen«, endete sie, als sich die Türen öffneten. »Aber es muss wichtig sein, wenn sie mich gebeten hat, euch zu benachrichtigen.«
»Du weißt nicht, was sie uns sagen will?«, fragte Machado und sah ihr forschend ins Gesicht.
»Nein, Gerardo. Sie hat mir nur gesagt, sie möchte ein paar Dinge klarstellen und in Frieden sterben.«
Rita stand völlig perplex auf, als die Polizisten das Zimmer betraten. Candela hatte ihr angekündigt, dass heute Nachmittag etwas geschehen würde, und darum noch keine Antwort von ihr gewollt, aber Rita hätte nie damit gerechnet, dass dieser erzwungene Aufschub etwas mit der Polizei zu tun haben könnte.
Sie begrüßten sich steif, die beiden Beamten zogen sich Stühle ans Bett, und dann holte David ein Aufnahmegerät heraus und sprach das Datum und den Namen der aussagenden Person auf das Band.
»Ich möchte, dass meine Freundinnen anwesend sind«, sagte Candela mit einer Stimme, die den beiden Männern angesichts ihrer Gebrechlichkeit erstaunlich fest erschien.
Die Polizisten sahen sich an und erklärten sich schulterzuckend einverstanden.
»Ich werde mich so kurz wie möglich fassen, weil ich sehr müde bin und unseren Ordnungskräften nicht die Zeit stehlen will«, begann sie mit ihrem gewohnten Sarkasmus, »aber ich fürchte, es wird dennoch eine längere Geschichte. Ich habe Sie hergebeten, weil ich unter Zeugen den Mord an Magdalena Santos gestehen will.«
Rita schaut Candela bestürzt an. Die drückt ihr die Hand.
»Verzeih, Marga. Jetzt wirst du alles erfahren. Es tut mir leid, dass ich es dir nicht früher gesagt habe.«
»Sprechen Sie weiter, Candela, bitte«, drängte Machado.
»Ich möchte mich, wie gesagt, kurzfassen, aber ich muss Ihnen einiges aus der Vergangenheit erzählen, damit Sie mein Motiv begreifen.« Sie nahm einen tiefen Atemzug aus der Sauerstoffmaske, ehe sie fortfuhr. »Ich muss zurückgreifen auf das Schuljahr 1973/74, also dreiunddreißig Jahre. Wir alle, Teresa, Rita, Ana, Carmen, Sole und Lena, die damals noch Magda hieß, waren Klassenkameradinnen und auch außerhalb der Schule eng befreundet, obwohl unsere Eltern verschiedenen sozialen Schichten angehörten, was damals durchaus ins Gewicht fiel, und sich auch in ihrer politischen Gesinnung stark unterschieden. Wir waren Töchter linker oder
Weitere Kostenlose Bücher