Töchter des Schweigens
stand da?«
»Schon gut, nichts von Bedeutung.«
»Morgen bringen wir dir deine Aussage zur Unterschrift, Candela«, sagte David. »Möchtest du noch etwas hinzufügen?« Sie schüttelte den Kopf, ohne die Augen zu öffnen.
Als Teresa die Männer hinausbegleitete, wandte Candela Rita den Kopf zu, der in wenigen Stunden zu einem zerbrechlichen, schweißbedeckten Vogelkopf geschrumpft zu sein schien.
»Ekelst du dich jetzt sehr vor mir?«
»Nein. Ich kann es mir selbst nicht erklären, aber nein.«
»Hast du damit gerechnet?«
Rita schüttelte den Kopf.
»Aber verstehst du mich? Vergibst du mir?«
»Wer bin ich, dass ich dir vergeben müsste, Candela?«
»Der einzige Mensch auf der Welt, der mir etwas bedeutet.«
Sie sahen sich sekundenlang in die Augen. War es nicht unwichtig, was sie denken oder fühlen mochte?, überlegte Rita. Candela lag im Sterben und brauchte sie, sie brauchte ihre Vergebung, ihre Zuneigung, ihre Unterstützung. Wie sollte sie, ausgerechnet sie, ihr das Einzige verweigern, das sie in Frieden sterben ließ? Seltsamerweise schmerzte sie Candelas Geständnis, Mati getötet zu haben, fast mehr als der Mord an Lena, denn diesen hatte eine verzweifelte Frau begangen, die am Ende war und dem Leben nur noch ein paar letzte Tage der Liebe abtrotzen wollte, die Verwirklichung eines Traumes, an den sie sich über dreißig Jahre lang geklammert hatte, während der Mord an Mati aus Hass geschehen war, in der verächtlichen Absicht, die Fassade aufrechtzuerhalten und den Erwartungen ihrer bürgerlichen und gutgläubigen Familie zu genügen. Obwohl, nun ja …, den wahren Grund, warum Mati verschwinden musste, hatte Candela den Polizisten nicht erzählt. Selbst wenn sie beide keine Angst gehabt hätten, ihre Liebe offen einzugestehen, war da ja immer noch die andere Sache.
Rita setzte sich neben das Bett auf den Stuhl, den David soeben geräumt hatte, und ergriff ihre Hand.
»Natürlich vergebe ich dir.«
»Im Ernst?« Candelas Augen waren immer noch schön, groß, glänzend.
»Ja.«
»Jetzt, Marga, kannst du mir meine Frage von heute Morgen beantworten, wenn du willst.« Sie schloss die Augen, und ihr Körper straffte sich, als stünde sie kurz vor einer Urteilsverkündung.
Rita kauerte sich neben das Bett und legte den Kopf auf Candelas Schoß, ohne ihren Blick loszulassen.
»Und was sind wir, wenn wir verheiratet sind? Frau und Frau? Gattin und Gattin?«
Ein mädchenhaftes Lächeln erleuchtete plötzlich Candelas Gesicht.
»Marga and Candela, forever« , flüsterte sie. »Forever.«
»Was hältst du davon?«, fragte David Gerardo, als sie wieder im Auto saßen und sich auf den Weg zum Kommissariat machten, um die Aussage abzugeben, damit sie in schriftliche Form gebracht und von Candela unterschrieben werden konnte.
»Es passt alles zusammen. Und es ist begreiflich, dass sie es vor ihrem Tod beichten wollte. Sie ist schließlich keine Gewohnheitstäterin. Logisch, dass ihr Gewissen sie quälte.«
»Gewohnheitstäterin vielleicht nicht, aber immerhin zweifache Mörderin.«
»Beim ersten Mal war sie achtzehn, und es geschah im Affekt, in einem vorübergehenden Zustand der Unzurechnungsfähigkeit. Wir hätten es ihr nicht einmal nachweisen können, wenn sie es nicht freiwillig zugegeben hätte. Das mit dem Mädchen auf dem Schiff könnte ebenso gut ein Unfall gewesen sein. Wenn sie es uns jetzt erzählt, dann weil es der Auslöser für das mit Lena war.«
»Ja. Andernfalls hätte es keinen Sinn ergeben. Hast du die Papiere von Candela?«
Gerardo klopfte auf seine Jackentasche.
»Ja. Es sind nur ein paar Seiten. Ich glaube nicht, dass etwas Entscheidendes drinsteht, aber ehe wir heute Feierabend machen, werfen wir noch einen Blick darauf. Es scheint ihr sehr wichtig zu sein, dass wir die Umstände verstehen.«
Während David die Aufnahme zur Transkription brachte, machte Gerardo es sich in seinem Büro bequem und faltete die Blätter auseinander. Der Titel auf der ersten Seite ließ ihn aufmerken: »Der Roman meines Lebens«. In Anbetracht der Tatsache, dass es nur sechs oder sieben Bögen waren, hatte Candela ihn offensichtlich nie beendet oder aber beschlossen, ihnen nur den Teil zu geben, der ihr relevant schien. Das konnte er sie ja noch fragen, wenn Zeit dazu blieb.
Er stopfte sich ein Pfefferminzkaugummi in den Mund und begann zu lesen:
Der Roman meines Lebens
Candela Alcántara de Frías
Dies ist der Roman meines Lebens, der einzige, wie ich inzwischen weiß, den ich je
Weitere Kostenlose Bücher