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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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legte ihr Abitur ab, Mati ertrank im Mittelmeer, und ihre Knochen liegen wohl noch auf dem Grund des Meeres, immer weißer, immer blanker.
    Wichtige Ereignisse für die jeweiligen Protagonisten mit teils bedeutenden Auswirkungen auf das gesamte Land, sogar auf die ganze Welt. Und wen interessiert das jetzt noch? Wer erinnert sich heute, Jahrzehnte später, an die Freude und den Stolz und den Schmerz und die Hoffnung in allem, was in jenem Schuljahr geschah?
    Ich erinnere mich. Aber ich erinnere mich auf meine Art, denn die Zeit trübt das Gedächtnis, fügt Nebensächliches hinzu, winzige Details, die alle Taten entschuldigen, so unentschuldbar sie damals auch waren.
    Wir haben nie darüber gesprochen.
    Die Clique vom 28sten, oder das, was davon noch übrig ist, trifft sich weiterhin, isst Tapas, redet gut oder schlecht von ihren Männern und Kindern, vom Job, von ihren bescheidenen Plänen für eine Zukunft, die am Horizont zusammengeschrumpft ist und nichts mehr mit dem zu tun hat, was sie sich einst erträumt haben. Aber das haben sie längst vergessen. Oder vielleicht wissen sie es doch noch und weigern sich, wie Candela, darüber zu reden, damit die anderen nichts von ihrer Frustration, von ihren verdorrten Träumen erfahren …

    Mehr Seiten gab es nicht. Gerardo schaute auch auf die Rückseite sämtlicher Bögen, um sicherzugehen, dass er nichts übersehen hatte, und legte sie seufzend zur Seite. Zu schade! Er hätte diesen Roman gern weitergelesen; in allen Einzelheiten gewusst, was vorgefallen war, und wie diese Mädchen, die nur ein paar Jahre älter waren als er, fühlten und dachten; die Welt von 1974, an die er sich kaum erinnerte, durch Candelas Worte wiedererstehen lassen. Aber sie hatte ihm nur einen Blick durch einen kleinen Spalt gewährt, und damit musste er sich begnügen. Wenigstens konnten sie den Fall jetzt ruhigen Gewissens zu den Akten legen, da sich damit alles zufriedenstellend geklärt hatte, außer für sie, die arme Frau, deren Tage gezählt waren.
    Einen Augenblick lang wunderte er sich über diesen Anflug von Mitleid mit einer geständigen Mörderin, war andererseits aber auch froh, dass ihn die Jahre im Polizeidienst noch nicht völlig gefühllos gemacht hatten.
    Er schaute auf die Uhr, ließ die Papiere auf dem Tisch liegen, damit auch David sie lesen konnte, griff nach seiner Jacke und ging, hoch befriedigt von diesem Ergebnis, nach Hause.
    Fall gelöst. Ein Bierchen, ein paar Salzmandeln, ein gutes Abendessen im Familienkreis und ab ins Bett.

2007
    Es war drei Uhr morgens, als Rita Tante Doras Wohnung betrat, die seit sechs Wochen ihr Zuhause war und ihr in diesem Moment noch trauriger und verstaubter erschien als an dem Abend, an dem Ingrid und sie aus London angekommen waren.
    Sie war innerlich und äußerlich erschöpft, ihre Augen waren wund vom Weinen, doch trotz ihrer Müdigkeit fühlte sie sich von einer Energie durchströmt, die sie vorerst am Schlafen hindern würde, es sei denn, sie nahm eine Schlaftablette. Aber Schlaftabletten weckten seit Lenas Tod unangenehme Assoziationen in ihr.
    Im Kühlschrank fand sie nur eine angebrochene Flasche Weißwein, und obwohl sie wusste, dass sie davon allenfalls noch wacher würde, nahm sie sie mit ins Arbeitszimmer, zusammen mit einem geschliffenen Kristallaschenbecher, den sie einige Tage zuvor im Wohnzimmerschrank entdeckt hatte und der aussah, als wäre er noch nie benutzt worden.
    Im schwachen orangefarbenen Licht der Straßenlaternen ließ sie sich am Schreibtisch nieder, zündete eine Zigarette an und saß ganz still da, sah erst zur Decke und ließ den Blick dann langsam über die Gegenstände gleiten, die ihre Fähigkeit, Gefühle und Erinnerungen zu wecken, gänzlich verloren hatten.
    Vor einer guten Woche war sie genau hier mit Candela zusammen gewesen. Nach ihrem unsäglichen Duschbad hatten sie miteinander gelacht, sich geliebt, das alte Foto betrachtet, das im Schulhof des Gymnasiums entstanden war, und Candela hatte gesagt: »Jetzt ist Schluss, Marga, mit der Vergangenheit ist Schluss, das haben wir uns redlich verdient.« Und daraufhin hatte Rita das Foto umgekehrt auf den Tisch gelegt und gedacht, wenn sie Tante Doras Wohnung verkauft hatte und Elda wieder verließ, würde sie es mitnehmen, vergrößern, Matis Gesicht in der Ecke wegretouchieren, das Bild rahmen und in ihrem Arbeitszimmer aufhängen. Weil sie zu den Mädels zurückgefunden hatte, diesen Mädels, die jetzt Frauen waren und vor denen sie in der ersten

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