Töchter des Schweigens
es ist, in einer militärischen Hierarchie zu leben? Wenn ich nach Valencia komme, werde ich mir sofort irgendwas suchen, Kinder hüten, Treppen putzen, was auch immer.«
»Wo wirst du denn wohnen? Haben sie sich inzwischen entschieden?«
»Erst mal in einem Nonnenstift, aber sobald ich kann, will ich mir zusammen mit anderen Mädchen eine Wohnung suchen. Würdest du dabei mitmachen?«
»Liebend gern. Aber meine Eltern wollen, dass ich das erste Jahr in einem Studentenwohnheim verbringe, um mich einzugewöhnen und so. Sie haben wohl nicht allzu viel Vertrauen zu uns. Da sie selbst nie auf einer Universität waren, stellen sie sich weiß Gott was darunter vor. Ununterbrochene Orgien oder so was.«
»Carmen denkt das auch.«
Die Kantine ist um diese nachmittägliche Stunde leer. Cayetano wischt mit einem Lappen den Tresen ab und nickt ihnen zerstreut zu, während sie sich in einer Ecke niederlassen, nachdem sie für die, die noch fehlen, Stühle herangerückt haben.
»Ich glaube, ich werde das alles vermissen«, stellt Marga fest und lässt den Blick durch den heruntergekommenen Saal schweifen, über die verschrammten Resopaltische, die mit Reißzwecken befestigten Bekanntmachungen, Anzeigen und Plakate an den Wänden, alles uralt.
»Ich nicht. Nicht eine Sekunde.« Teres Ton ist rebellisch, aggressiv. »Ich werde die Vergangenheit vergessen, sobald ich aus diesem Dorf raus bin, und anfangen, nur noch an mich und meine Zukunft zu denken.«
»Na, vielen Dank, gut zu wissen.«
Tere lacht, klopft ihr auf die Schulter und steht auf.
»Aber nein! Du bist ein Teil von mir und meiner Zukunft, wie alle diese Bekloppten, die jeden Augenblick hier sein dürften. Los, wenn du eine Pesete drauflegst, lade ich dich zu einer Cola ein, für zwei reicht es sonst nicht.«
Marga nickt lächelnd, holt die Pesete heraus und betrachtet den Rücken ihrer Freundin an der Theke, während sich die Stimmen der anderen nähern. Und mit einem Mal überkommt sie eine heftige Wehmut, das Bedürfnis, sich zusammenzukauern, sich ganz klein zu machen und im Bett zu verkriechen, um nicht die Schule verlassen zu müssen, um nicht hinaus in die Welt ziehen und sich auf eigene Faust durchschlagen zu müssen, bis sie eine erwachsene Frau wäre. Es fühlt sich an, als rollte eine riesige Welle über sie hinweg und ließe sie durchnässt, frierend und orientierungslos zurück. Doch da kommt Tere mit den beiden Coca-Cola, und als Margas Hand die Rundung der Flasche umschließt und ihre Augen denen ihrer Freundin begegnen, legt sich die Angst, sie stoßen die Flaschen aneinander, und sie hört Tere sagen: »Auf unsere Zukunft, Marga.«
Dann treffen die anderen ein, der Raum füllt sich mit Gelächter, Geschrei, verschwitzten Körpern, und der schreckliche Moment geht vorbei und ist vergessen.
Juni 2007
Sie parkten gegenüber der Anlegestelle für die Ausflugsboote, die zur Insel Tabarca fuhren, und bummelten hinüber zum Fischmarkt auf der Suche nach der Bar, wo sie mit Jaime und Teresa verabredet waren. Das Meer glänzte blau und glatt in der Mittagssonne, und trotz der vielen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen, die der Hafen über sich ergehen lassen musste, seit Rita das letzte Mal dort gewesen war, bewahrte das Fischerdörfchen Santa Pola noch etwas von dem alten Charme, über den es in ihrer Kindheit verfügt hatte. Die Touristen, die es im Juli und August stürmten und die Bevölkerung der Gemeinde von zwanzigtausend auf zweihunderttausend anschwellen ließen, waren noch nicht eingetroffen, und man atmete eine Atmosphäre südländischer Ruhe. Die Palmen zeichneten sich gegen den blauen Himmel ab, die Blumen leuchteten in ihren Beeten, und die Masten der kleinen Boote im Yachthafen wiegten sich sanft in der Brise.
»Hübsch hier«, bemerkte Ingrid, während sie den Wellen zusah, die sich am Strand brachen.
»Ja. Wenn ich als Kind hierherkam, war es wunderschön. Die Sonnenuntergänge am Hafen nach der Fischversteigerung sind das Beste, was ich je im Leben gesehen habe. Aber du weißt ja, dass ich mich mit dem Meer nicht so richtig anfreunden kann. Komm, wir warten drinnen auf sie.«
»Ich habe noch nie verstanden, wie ein Mensch das Meer nicht mögen kann.«
»Jeder hat seine Marotten.«
Rita steckte sich eine Zigarette an, schirmte sie mit der Hand ab und blieb noch einen Moment stehen, den Blick auf die ruhige Wassermasse gerichtet, die am Ufer schaumig wurde und am Horizont mit dem Himmel verschmolz, während sich die Umrisse
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