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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elia Barceló
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Rechnung, dann können wir noch einen Spaziergang am Strand von Guardamar machen, bis es Zeit für die Paella ist.«

Juni 2007
    Rita stand auf der Plaza de los Luceros, blickte zu den Palmen auf, die sich leicht in der vom Meer herüberwehenden Brise bewegten, und hatte das Gefühl, dass es für sie schon zu spät war, weil sie das alles bereits mit den Augen einer Touristin betrachtete, staunend über die angenehme Temperatur, die gut gekleideten Menschen, die massige Burg von Santa Bárbara vor dem makellos blauen, mediterranen, fremdländischen Himmel. Selbstmitleid überkam sie, weil sie die innere Verbindung zu diesem Land verloren hatte, das ihre Heimat war, das bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr ihre Heimat gewesen war und sich jetzt kaum noch so anfühlte.
    Irgendwo hatte sie einmal gelesen, dass das Heimweh von Exilierten und Emigranten einer Zeit gilt, nicht einem Ort, darum ist dieses Heimweh unheilbar: weil sie in ihre Geburtsstadt zurückkehren können, aber nicht in die Stadt ihrer Jugend mit ihrer Atmosphäre, ihren Läden, ihren Cafés, den Menschen, aus denen ihre Welt einst bestand.
    Glücklicherweise verband sie keine besonderen Erinnerungen mit diesem Platz. Die wenigen Male, die man ihnen erlaubt hatte, zusammen nach Alicante zu fahren und einen Nachmittag dort zu verbringen, hatten sie sich immer im Bereich der Explanada oder auf den Ramblas und der Calle Mayor aufgehalten und Schaufenster betrachtet, wie man es früher tat, bevor die jungen Leute Shopping als Sport entdeckten. Wenn zu ihrer Zeit ein Mädchen eine schwarze Hose brauchte, klapperte es auf der Suche nach erschwinglichen schwarzen Hosen zwei oder drei Geschäfte ab, und wenn es eine gefunden hatte, ging es tags darauf mit seiner Mutter hin, damit die ihre Zustimmung gab und, falls nötig, mit der Ladenbesitzerin feilschte.
    Als sie nach London ging, gab es in Alicante nicht einmal ein Kaufhaus, wie El Corte Inglés, nur in Murcia. Und für viele Frauen war es ein heiß ersehnter Samstagsausflug, zu dem sie ihre Männer monatelang überreden mussten.
    Es wunderte sie ein wenig, dass Candela sich mit ihr in einem Café verabredet hatte, statt sie zu sich nach Hause einzuladen. Neulich beim Verlassen der Kneipe hatte sie das Gefühl gehabt, dass Candela sich unbedingt einmal mit ihr allein unterhalten und ihre alte Freundschaft nach Möglichkeit wiederbeleben wollte. Dennoch öffnete sie ihr jetzt nicht die Tür zu ihrem Heim, sondern bestellte sie in ein öffentliches Lokal, ohne um ihre Verabredung viel Aufhebens zu machen.
    »Wurde auch Zeit, dass du dich bequemst, mal anzurufen«, hatte sie mit ihrer gewohnten Bissigkeit gesagt, die die anderen lachend als ihren »natürlichen Charme« bezeichneten, Rita aber immer innerlich zusammenzucken ließ. »Pass auf, ich mache um sechs Schluss. Was hältst du von halb sieben im Sausalito an der Plaza de los Luceros? Und untersteh dich, deine P.A . mitzubringen!«
    Im ersten Moment hatte Rita befürchtet, es könnte unangenehm werden, Ingrid zu sagen, dass Candela sie nicht dabeihaben wollte, aber dann war alles ganz einfach, weil Ingrid angefangen hatte, die Schränke zu durchforsten, und sichtlich froh war, ein paar Stunden für sich zu sein, um auszusortieren, was sich aufzuheben lohnte und was nicht. Somit war Rita allein nach Alicante gefahren und saß zehn Minuten vor der verabredeten Zeit auf der Terrasse des Sausalito .
    Sie sah Candela kommen, in weißes Leinen gekleidet, mit einer riesigen Sonnenbrille und einem Aktenkoffer, und stand auf, um sie zu begrüßen.
    »Du bist ja der reinste Touri!«, war das Erste, was ihre Freundin sagte. »Wie kannst du nur in der prallen Sonne sitzen? Los, gehen wir rein. Da gibt es eine Klimaanlage.«
    Gehorsam nahm Rita ihr Bier, und sie gingen hinein. Das Lokal war kalt in jeder Hinsicht. Viel Metall und Glas, neutrale Farben, hellgrau gepolsterte Stühle und Sofas und dunkelrot gestrichene Wände, die dennoch keinerlei Behaglichkeit aufkommen ließen.
    »Ich schaue hier für gewöhnlich nach der Arbeit vorbei«, sagte Candela und warf ihren Koffer auf einen Sessel. »Zum Chillen , wie man das heute nennt. Bei uns hieß das früher: ›Feierabend. Die Arbeit kann mich mal.‹«
    »Die Maloche«, korrigierte Rita sie und steckte sich eine Zigarette an.
    »Nein, Schlaubergerin. Das kam später. Früher hieß Arbeit einfach Arbeit. Und war obendrein eine Nationaltugend. Erinnerst du dich nicht an dieses ›Arbeit adelt‹? ›Maloche‹ haben nur

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