Töchter des Schweigens
blaue Augen und ein Lächeln voller perfekter Zähne.
»Wir haben in Guardamar für halb drei einen Tisch reserviert«, verkündete Teresa, nachdem Rita und Jaime einander vorgestellt waren. »Wenn ihr wollt, können wir mit unserem Auto fahren und nachher zurückkommen und eures holen.«
Sie bestellten mehr Bier und setzten sich zu den beiden Frauen an den Tisch, Rita und Teresa mit dem Rücken zum Meer, Ingrid und Jaime gegenüber.
»Wann geht die Reise los?«, fragte Teresa, an Ingrid gewandt.
»Ich fahre nun doch erst nächsten Sonntag, weil Rita mich überredet hat, zu bleiben und mir einen der berühmten Aufmärsche zu Moros y Cristianos anzusehen. Ich habe schon eine Karte. Anschließend komme ich noch mit zu eurer Party bei Ana, und am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg nach Granada.«
»Wir werden es uns richtig gut gehen lassen. Ana ist eine hervorragende Köchin und das Häuschen wunderschön, ihr werdet ja sehen. Das wird fast wie deine legendäre Geburtstagsfete, Rita, weißt du noch?«
Rita nickte wortlos. Sie hatte keine Lust, darüber zu reden, aber Teresa schien es nicht zu bemerken und fuhr fort: »Was ist eigentlich aus eurem Haus auf dem Land geworden? Hast du es geerbt?«
Rita brauchte einige Sekunden, ehe sie antworten konnte, denn dieses Thema war noch immer zu schmerzlich.
»Nein. Meine Mutter und meine Tante haben es schon vor Jahren verkauft.«
»Und du wolltest es nicht kaufen?«
»Ich konnte nicht. Ich musste mein Haus in London abbezahlen und war außerdem Koproduzentin eines Films, von dem ich mir viel versprach. Ich bat meine Tante, den Verkauf aufzuschieben, bis ich es mir leisten könnte, aber ihr Mann drängte sie, und so haben sie es schließlich verhökert. Meine Mutter hatte nicht das Herz, sich ihrer Schwester zu widersetzen, die das Geld dann plötzlich sofort haben wollte, und unterschrieb. Anscheinend hatte sie es ihr versprochen oder so, und meine Mutter war einer der seltenen Menschen, die noch Wort halten.«
»Und dir tut es immer noch weh, stimmt’s?«, fragte Teresa sanft.
»Ja. Ehrlich gesagt, ja. Dort waren meine Wurzeln. Das Einzige, was mir von meiner Kindheit geblieben war.«
Jaime, der das Gespräch schweigend verfolgte, wunderte sich, mit einer weltbekannten Filmregisseurin in einer Hafenbar zu sitzen und sie über so private und alltägliche Dinge plaudern zu hören. Teresa hatte ihm zwar gesagt, Rita sei eine ganz normale Frau, aber er hatte das nicht recht glauben wollen. Immerhin waren sich die beiden seit dreißig Jahren nicht begegnet, und in dreißig Jahren konnte sich alles radikal ändern. Auf jeden Fall hatte er erwartet, dass sie über Filme sprechen würden und Rita Anekdoten und Klatsch über Hollywood-Stars zum Besten gab, mit denen sie persönlich Kontakt hatte. Seine Frau dagegen schien sich weniger für Glanz und Gloria der Filmindustrie zu interessieren, als vielmehr für die kleinen Dinge im Leben ihrer Freundin. Aber vielleicht kam das, was ihn interessierte, ja später beim Essen noch zur Sprache.
»Und dein Elternhaus? Das im Ort?«, wollte Teresa wissen.
»Das hat meine Mutter verkauft, als es ihr nicht mehr so gut ging und mein Vater schon gestorben war, um sich eine kleine Wohnung in einem Haus mit Fahrstuhl zu kaufen. Später ist sie dann zu uns nach London gezogen. Wie dem auch sei, sprechen wir von etwas anderem, wenn ihr nichts dagegen habt.«
»Mach dir nichts draus, Rita«, sagte Jaime freundlich, »jede Familie hat ihre Geschichten. Das Dumme ist nur, dass wir es in unserem Alter noch nicht geschafft haben, uns davon frei zu machen, und die Vergangenheit uns bis heute Schmerzen zufügt.«
»Die Vergangenheit beeinflusst immer die Gegenwart, Jaime. Das ist nicht zu ändern. Was wir heute sind, ist eine Folge dessen, was wir waren, was wir getan haben, was uns widerfahren ist.« Rita war sehr ernst geworden, dabei hatte Jaime sie nur aufmuntern wollen, doch offenbar war ihr dieses Thema sehr wichtig. Man brauchte nur ihre Filme anzusehen.
»Im Englischen gibt es ein Sprichwort«, mischte sich Ingrid ein. »Alte Sünden werfen lange Schatten.«
Teresa und Rita tauschten einen Blick, den die anderen beiden nicht zu deuten wussten.
»Wohl wahr«, sagte Jaime.
»Aber weil es bei uns ja keine alten Sünden gibt«, Teresas Stimme klang fröhlich, »wird unser Leben auch immer sonnig bleiben, ohne Schatten, vor denen wir erschrecken müssten. So ist es doch, nicht wahr, meine Lieben? Geh, Jaime, bezahl die
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